Digitale, beleuchtete Schmetterlinge
#Digital Currency Ecosystem

Tokenisiert & standardisiert: die Finanzwelt von morgen

Insights
7 Min.

Während Innovationen durch Technologie immer weiter vorangetrieben werden, entwickeln sich die unterschiedlichsten Visionen, wie unsere Zukunft aussehen könnte. Das Gleiche trifft auch auf die globale Finanzordnung zu. Das Wachstum der Distributed-Ledger-Technologie und die damit einhergehende Tokenisierung des Geldes sind bemerkenswert. Jedoch ist ein gewisses Maß an Voraussicht und Regulierung erforderlich, um sicherzustellen, dass es keine Benachteiligung  gibt. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich das globale Finanzsystem entwickeln könnte und welche Rolle die verschiedenen Arten von Geld dabei spielen.

 

Mit dem technologischen Fortschritt ändern sich auch die Ansprüche der Kundinnen und Kunden. Diese Erwartungen zu erfüllen, ist für jede Branche eine Herausforderung – und das Finanzsystem bildet da keine Ausnahme.

Die fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende Vernetzung der Wirtschaft machen einzelne Herausforderungen für das globale System immer offensichtlicher:

  • Ein digitalisiertes Wirtschaftsökosystem sollte grundsätzlich für alle zugänglich sein. Die Initiativen zur finanziellen Inklusion haben aber noch nicht alle Menschen erreicht. Mehr als 2,5 Milliarden Menschen weltweit sind nach wie vor offline.1
  • Geopolitische Herausforderungen und die Abhängigkeit von wenigen privaten Akteurinnen und Akteuren können Finanztransaktionen beeinträchtigen und die Souveränität eines Landes gefährden.
  • Naturkatastrophen oder technische Pannen können zu Verbindungs- und Stromausfällen führen, die den digitalen Zahlungsverkehr unmöglich machen – was sich wiederum nachteilig auf die Wirtschaft auswirkt. Der CrowdStrike-Vorfall im Juli 2024 hat laut Parametrix, einem auf Cloud-Risiken spezialisierten Unternehmen, allein im Bankensektor einen Verlust von 1,4 Milliarden US-Dollar verursacht.2
  • Ein weiteres Problem, das die wirtschaftliche Situation sowohl für Privatpersonen als auch für kleine und mittlere Unternehmen belastet, sind die anhaltend hohen Kosten und die langsame Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen: Die Überweisungsgebühren liegen weltweit bei durchschnittlich 6,3 Prozent und die Zahlungsabwicklung kann mehrere Tage in Anspruch nehmen.3

Doch es gibt auch positive Nachrichten: Der Spielraum für Innovationen ist enorm und wird stetig größer. Neue Technologien können einen Beitrag zur Bewältigung der oben genannten Herausforderungen und zur Schaffung eines kundenorientierten Finanzwesens leisten. Auch wenn der Fokus auf neue Technologien berechtigt ist, gibt es noch reichlich Optimierungspotenzial bei den aktuellen Systemen.Durch standardisierte APIs könnten bestehende und neue Technologien besser und einfacher miteinander verbunden werden. Ein solcher Ansatz würde sich unmittelbar positiv auswirken.

Aber nun der Blick auf die neuen Technologien:

  • Künstliche Intelligenz (KI) hat die Transformation des globalen Finanzsektors bereits beschleunigt, indem sie eine bessere und schnellere Betrugserkennung ermöglicht, das Onboarding von Kundinnen und Kunden beschleunigt oder mehr Benutzerfreundlichkeit für alle Beteiligten bietet.
  • Die weitverbreitete Verwendung von Distributed Ledger Technology (DLT), zu der auch die Blockchain gehört, hat ebenfalls zu einer Veränderung beigetragen.
  • Die Tokenisierung ist auch eine Schlüsseltechnologie. Schätzungen zufolge wird der Markt für die Tokenisierung von Finanz- und Sachwerten bis 2030 auf fast vier Billionen US-Dollar anwachsen.4

Die Frage ist jedoch, wie die transformative Kraft der Technologie am besten für ein zukünftiges Finanzsystem genutzt werden kann. Wenngleich es auch noch andere Möglichkeiten gibt, werden im Folgenden zwei Visionen eines zukünftigen Finanzsystems vorgestellt.

Digitale Prozessstruktur

Web3 und das Finternet

Für die Web3-Evangelisten wäre ein dezentrales Finanzsystem auf der Grundlage von DLT die Antwort auf all ihre Gebete. Web3 im Finanzwesen basiert auf drei zentralen Elementen: Dezentralisierung, Blockchain-Technologie und Smart Contracts. In der Theorie würde sich so die Macht von den Banken und Finanzinstitutionen auf die Nutzerinnen und Nutzer verlagern.

Das Problem ist, dass diese Vision des Web3 ein hohes Maß an finanziellem und technologischem Know-how voraussetzt, um die damit verbundenen Technologien zu beherrschen. Dazu dürften nur wenige Menschen in der Lage sein. Ein gravierender Nachteil hierbei ist außerdem die fehlende Regulierung. Während die Web3-Befürworter dies als einen positiven Aspekt hervorheben, kann es auch zu einem Problem werden, nämlich dann, wenn unseriöse Akteure involviert sind oder es zu Schadenersatzforderungen kommen könnte. Auch wenn es viel von Web3 und anderen Initiativen im Bereich der Kryptowährungen zu lernen gibt, so scheint dieser Schritt doch zu groß zu sein. Was zur nächsten Zukunftsvision des Finanzwesens führt.

Ein kürzlich veröffentlichtes Papier der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist ein überzeugendes Plädoyer für das sogenannte Finternet: „Mehrere Finanzökosysteme, die ähnlich wie das Internet miteinander verbunden sind und es Privatpersonen und Unternehmen ermöglichen, ihr finanzielles Leben selbst in die Hand zu nehmen.“5 Damit könnten unter anderem die kritischsten Schwachstellen des heutigen globalen Finanzsystems behoben werden:

  1. Statt teurer und zeitaufwendiger Überweisungen könnten „Privatpersonen und Unternehmen jegliche finanziellen Vermögenswerte in beliebiger Höhe, zu jeder Zeit, mit jedem Gerät und an jeden anderen Ort der Welt transferieren. Finanztransaktionen wären preiswert, sicher und würden nahezu in Echtzeit abgewickelt.“6

  2. Diese Geldtransfers wären inklusiv und würden Bevölkerungsgruppen, die bisher keinen vollen Zugang zum Zahlungsverkehr hatten, die wirtschaftliche Teilhabe ermöglichen.

  3. Es würde einen verbesserten Zugang ermöglichen, mit weniger Risiken verbunden sein, bessere Informationsmöglichkeiten bieten und wäre vor allem kostengünstiger.

Mit der Einführung des Finternets könnten individuellere Finanzsysteme geschaffen werden, von denen alle Beteiligten profitieren würden. Das Konzept sieht die Nutzung aller verfügbaren Technologien vor, darunter Hauptbücher (ledgers), Tokenisierung, hoch entwickelte Verschlüsselungsverfahren und künstliche Intelligenz (KI). Es basiert auf der Idee einheitlicher Hauptbücher (unified ledgers), die eine Art „gemeinsamen Ort“ (d.h. eine gemeinsame programmierbare Plattform) bieten, an dem digitale Formen von Geld und anderen Vermögenswerten nebeneinander existieren.7

Statt in eigenen separaten Ökosystemen verteilt zu sein, würden viele tokenisierte Werte (und andere Anlageformen) auf gemeinsamen Plattformen zur Verfügung stehen. Damit würde auch die Interoperabilität gewährleistet, da diese Ledger nach bestimmten Standards vereinheitlicht werden. Die Nutzerinnen und Nutzer könnten in einem solchen standardkonformen System ein Konto in einem beliebigen Ledger eröffnen und ihre Vermögenswerte von einem Ledger in ein anderes verschieben. Einmal abgeschlossene Transaktionen sind unwiderruflich, unteilbar und sicher. Zusammen mit der notwendigen Regulierung und dem Rückhalt einer „Good Governance“ könnten so „die Vorteile der Tokenisierung voll ausgeschöpft werden“8, sagen die Initiatoren.

Für eine „Good Governance“ und eine wirksame Regulierung ist jedoch noch ein weiteres Element erforderlich.

“Wir bei G+D sind überzeugt, dass das zukünftige Finanzsystem den Wettbewerb fördern wird, indem es die Einstiegshürde für die Akteure senkt. Das würde sich positiv für die Nutzerinnen und Nutzer auswirken, da sie mehr Auswahl hätten.“
Teresa Riedl
Senior Strategy Consultant, G+D

Tokenisiertes öffentliches Geld ist gefragt

Es gibt viele Formen von reguliertem tokenisiertem Geld:

  1. Retail- und Wholesale-CBDCs: Hierbei handelt es sich um Zentralbankgeld in digitaler Form.

  2. Tokenisierte Einlagen: Auch CBMT (Commercial Bank Money Token) genannt, versteht man darunter die tokenisierte Form von Geld, das von Geschäftsbanken gehalten wird.

  3. Stablecoin: Dieser privat emittierte Token ist mit einem anderen Vermögenswert, meist einer öffentlichen Währung, verknüpft.

Stablecoins und insbesondere tokenisierte Einlagen sind vielversprechende Entwicklungen, die Innovation und Wachstum in der digitalen Wirtschaft vorantreiben. Wie eine aktuelle Zusammenarbeit zwischen DG Nexolution, DZ BANK, Festo und Giesecke+Devrient zeigt9, lassen sich tokenisierte Einlagen sogar offline für Machine-to-Machine-Zahlungen (M2M) nutzen.

Einige mögen sich fragen, warum eine CBDC für die Allgemeinheit notwendig ist.Andere sind der Ansicht, dass ein Währungssystem ohne öffentliches Zentralbankgeld anfälliger für Fragmentierung und die negativen Auswirkungen privater Finanzmittel ist, die nicht zu gleichen Bedingungen gehandelt werden.

Private Ökosysteme schaffen geschlossene Systeme, die es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern schwer machen, auszusteigen oder ihr Geld anderswo zu investieren. Dies schränkt die Wahlmöglichkeiten bewusst ein und beeinträchtigt die Interoperabilität. Ein Finanzsystem, das auf hohem technischem Niveau, aber ohne die stabilisierende Wirkung einer öffentlichen digitalen Währung funktioniert, birgt Risiken für Nutzerinnen und Nutzer, zu denen auch Marktversagen gehört. Die Existenz von Zentralbankgeld in einem System führt auch zu einer regulatorischen Kontrolle.

Zentralbankgeld erfüllt noch einen weiteren wichtigen Zweck, nämlich den der Souveränität.Ein Aspekt, der von der Europäischen Zentralbank in ihrer Begründung für die geplante Einführung einer eigenen digitalen Währung explizit erwähnt wurde: „Ein digitaler Euro würde die Eurozone robuster machen. Er würde Europas strategische Autonomie und monetäre Souveränität unterstützen und unsere Zahlungsinfrastruktur wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger gegenüber außereuropäischen Zahlungsanbietern machen.“10

„In diesem neuen Finanzsystem brauchen wir eine Back-up-Infrastruktur, die sowohl Inklusion als auch Souveränität garantiert – beides sind wichtige Ziele für Zentralbanken“, sagt Teresa Riedl, Senior Strategy Consultant bei G+D. „Aufgrund der umfangreichen Erfahrung von G+D im Bereich tokenbasierter Zahlungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Stablecoins, tokenisierte Einlagen und CBDCs sehr gut und interoperabel zusammenarbeiten könnten. Vorausgesetzt natürlich, es werden die richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen.“

Basis für ein tokenisiertes Finanzsystem

Stabilisierung und Verringerung der Fragmentierung erfordern öffentliche Gelder. Die Bereitstellung einer Wholesale-CBDC (Wholesale Central Bank Digital Currency, wCBDC) als grundlegende Basis für die Abwicklung kann für die Interoperabilität und sichere Skalierbarkeit eines zukünftigen Finanzökosystems sorgen. Als ein Abwicklungsvermögenswert der Zentralbank würde sie die Tokenisierung von Reserven ermöglichen und zu Effizienzgewinnen bei Interbankenabwicklungen führen – den Handel mit tokenisierten Wertpapieren und tokenisierten Einlagen eingeschlossen. Das mBridge-Projekt der BIZ verfolgt einen sehr interessanten Multi-CBDC-Ansatz für großvolumige, grenzüberschreitende Zahlungen. Da mehrere Währungen unterstützt werden, wird, wo immer möglich, das lokale Zahlungsmittel verwendet, sodass die Transaktionen nahezu in Echtzeit erfolgen, weniger kosten und absolut sicher sind.11

Der Schwerpunkt von mBridge liegt auf der Förderung des internationalen Handels durch eine bessere Verbindung zwischen Zentralbanken. Das Agorá-Projekt der BIZ hingegen wirbt aktiv um die Teilnahme von Privatpersonen. Ziel des Projekts ist es herauszufinden, wie tokenisierte Einlagen bei Geschäftsbanken in den CBDC-Zahlungsverkehr integriert werden können. Agorá bezieht sich explizit auf das Unified-Ledger-Konzept der BIZ und sucht Partner für den Aufbau einer „öffentlich-privaten programmierbaren zentralen Finanzplattform“.12 Es soll untersucht werden, ob Plattformen dieser Art das Weltwährungssystem verbessern würden, insbesondere im Hinblick auf Smart Contracts und Programmierbarkeit.

Hinter diesen Projekten steht der Wunsch, das bestehende Finanzsystem mit dem neuen zu verbinden und dabei die Zuverlässigkeit und Erfahrung des bestehenden mit den heute verfügbaren dynamischen Technologien zu kombinieren. Auch wenn eine umfassende weltweite Regulierung ein löbliches Ziel ist, wären standardisierte Programmierschnittstellen (Application Programming Interfaces, APIs) schon mal ein guter Anfang, um das künftige Ökosystem auf ein solides Fundament zu stellen.

„Wir bei G+D sind überzeugt, dass das zukünftige Finanzsystem den Wettbewerb fördern wird, indem es die Einstiegshürde für die Akteure senkt“, so Riedl. „Das würde sich positiv für die Nutzerinnen und Nutzer auswirken, da sie mehr Auswahl hätten. Neben anderen positiven Effekten gäbe es vermutlich auch mehr Wettbewerb bei der Preisgestaltung.“ 

Dennoch sind noch viele Fragen offen: Werden Wholesale-CBDCs das Herzstück einer tokenisierten Wirtschaft sein und Retail-CBDCs die Lücken im Zahlungssystem füllen? Eine weitere spannende Frage ist, wie Stablecoins und Deposit-Tokens die Effizienz von Unternehmen verbessern. Die kürzlich von G+D eingeführte Lösung Filia®® Unplugged ist ein erster Schritt, um diese digitale Welt resilienter und inklusiver zu machen. Es kann in bestehende Zahlungssysteme integriert werden, um elektronische Zahlungen offline zu ermöglichen. Filia® Unplugged ist Teil des umfassenden Angebots von G+D, das eigene technische Innovationen sowie Beratung in allen Prozessphasen und Forschung umfasst. Alles, um die Wirtschaft von heute in die Zukunft zu führen.

Key Takeaways

  • Das Finternet ist ein Finanzkonzept für das Internet, das auf einheitlichen Ledgern basiert, die die Interoperabilität zwischen tokenisierten Geld-Ökosystemen fördern. Es ist eine Möglichkeit, die Herausforderungen, vor denen das Finanzsystem heute steht, zu bewältigen.
  • Neue Technologien sind gefragt, müssen aber über standardisierte APIs mit bestehenden Technologien verbunden werden. Hier gibt es noch viel Potenzial für Wachstum und Verbesserungen. Eine solide Regulierung ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung.
  • Zentralbanken streben nach finanzieller Inklusion und Souveränität. In diesem Szenario werden Retail- und Wholesale-CBDCs zu Schlüsselkomponenten des zukünftigen Finanzsystems.
  1. Accelerating digital inclusion for 1 billion people by 2025, World Economic Forum, 2024

  2. https://www.informationweek.com/cyber-resilience/crowdstrike-outage-drained-5-4-billion-from-fortune-500-report

  3. Extending the benefits of digital technologies to cross-border payments, Fabio Panetta/ECB, 2023

  4. Money, Tokens, and Games: Blockchain’s Next Billion Users and Trillions in Value, Citigroup, 2023

  5. BIS Working Papers No 1178 Finternet: the financial system for the future, by Agustín Carstens and Nandan Nilekani/BIS, April 2024

  6. Ibid.

  7. Ibid.

  8. Ibid.

  9. DZ Bank, G+D to demo offline M2M payments using tokenized deposits, Ledger Insights, August 2024

  10. Why do we need a digital euro?, European Central Bank

  11. Project mBridge Update: Experimenting with a multi-CBDC platform for cross-border payments, BIS Innovation Hub, October 2023

  12. Private sector partners join Project Agorá, BIS, September 2024

Veröffentlicht: 10.10.2024

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