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Warum der Quantencomputer noch in den Kinderschuhen steckt

Interview
7 Min.

Das bahnbrechende Potenzial von Quantencomputern ist unumstritten. Trotzdem experimentieren Unternehmen noch immer mit der Anwendung. Die Branche steht damit an einem Wendepunkt. G+D sprach mit Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek, der Leitenden Direktorin des Forschungsinstituts CODE (Cyber Defence), und André König, Autor und Investor in Quantentechnologie, über das Rennen um den Quantencomputer, den aktuellen Stand der Technik, derzeitige Entwicklungen und die Bedeutung der Post-Quanten-Kryptographie.

Wie sind Sie ursprünglich mit dem Bereich der Quantentechnologie in Verbindung gekommen?

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Vor drei Jahren hatte das Forschungsinstitut CODE die Gelegenheit, ein IBM Quantum Hub zu werden. Obwohl wir uns des vollen Potenzials damals noch nicht bewusst waren, wussten wir, dass wir an dieser spannenden Technologie beteiligt sein müssen. Mittlerweile haben wir mit dem IBM Q Hub am Forschungsinstitut CODE viel Erfahrung gesammelt und ich habe keinen Zweifel, dass Quantenrechner unser Leben in der Zukunft revolutionieren werden. Es ist ein aufregendes neues Paradigma. Wie genau die neuartigen Quantentechnologien unseren Alltag beeinflussen werden, bleibt abzuwarten. 

André König: Ich begann meine Karriere als Unternehmensberater, bevor ich in den Bereich KI gewechselt bin. Ich arbeitete mit verschiedenen Wall-Street-Banken zusammen und der Leiter Globale Technologie riet mir, mich eher auf Quantencomputer statt auf KI zu konzentrieren, da die Auswirkungen dieser Technologie auf Unternehmen um ein Vielfaches höher seien. Ich setzte mich also damit auseinander und war gleich begeistert. Denn diese neue Technologie stand am Wendepunkt. Damals gab es sie meist nur in Laboren, während andere Technologien, einschließlich KI, allmählich Form annahmen. Ebenso wie Frau Prof. Dr. Dreo Rodosek bin ich fest davon überzeugt, dass sie das Potenzial hat, die Welt zu verändern.

Wie würden Sie das Potenzial beschreiben?

André König: Theoretisch könnte die Quantentechnologie Science-Fiction, wie wir sie aus Filmen kennen, wahr werden lassen, wie etwa Teleportation in „Star Trek“ und so ziemlich alles, was Tony Stark mit Materialien, Energie und Antrieben in „Iron Man“ anstellt. Aber auch die Erschließung neuer Energiequellen und selbst Zeitreisen sind vorstellbar. Im Alltag könnte uns die neue Technologie bei der Kohlenstoffextraktion, der Gesundheitsversorgung und der Entwicklung von Smart Cities helfen. All dies liegt natürlich noch in weiter Ferne.

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Stellen Sie sich den heutigen Rechner als Kerze vor. Quantencomputer wären dann in etwa so etwas wie die Glühbirne. Sie werden einige Probleme lösen, die heute als unlösbar gelten. Und dieser enorme technologische Wandel bedeutet auch, dass wir über die Cybersicherheitsrisiken nachdenken müssen. Fortschritte auf dem Gebiet der Quantentechnologie haben das Potenzial, die aktuellen Grundsätze der Kryptografie grundlegend zu erschüttern. Obwohl die Quantentechnologie noch in den Kinderschuhen steckt, müssen wir bereits jetzt über die Risiken (Stichwort Post-Quanten-Kryptografie) nachdenken.

Wo stehen wir gerade auf dem Weg in eine Quanten-Zukunft?

André König: Die Branche hat enorme Fortschritte gemacht, aber es gibt noch vieles zu lernen. Wir wissen noch immer nicht, welche Materialien am besten geeignet sind, um Quantencomputer zu bauen. Zudem ist die Technologie in der Praxis noch nicht umsetzbar. Quantenkommunikation, Sensorik und Verschlüsselung sind hingegen ausgereifter und werden bereits eingesetzt. Es handelt sich jedoch um kleinere Nischenmärkte. Allgemein befinden sich Unternehmen, die die Technologie einsetzen, noch im Experimentierstadium.

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Wir sind noch in der „Kindergartenphase“, in der wir mehr über die Technologie lernen, Hardware entwickeln und auswerten, beurteilen, welche Architektur infrage kommen wird, welche Anwendungen für Quantenrechner besonders geeignet sind. Zudem gilt es, interdisziplinäre Teams zusammenzustellen, die mit verschiedenen Interessengruppen zusammenarbeiten, von der Forschung und Start-ups bis hin zu großen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Für die Entwicklung von Quantenrechnern sind diese speziellen Ökosysteme erforderlich, die allmählich entstehen.

Wie lässt sich der Fortschritt der Branchenakteure am besten messen?

André König: Es gibt technische Metriken rund um die Leistung, wie die Zahl der Qubits oder das Quantenvolumen, aber für mich sind die Nutzer die ausschlaggebende Kennzahl. Angesichts der Tatsache, dass wir noch immer am Anfang stehen bzw. uns in der Kindergartenphase befinden, um es mit den Worten von Prof. Dr. Dreo Rodosek zu sagen, sind Investitionen ein gutes Indiz für den Fortschritt. Anlegerinnen und Anleger werden jedoch immer vorsichtiger, trotz einiger SPACs in der ersten Jahreshälfte. Im Jahr 2020 wurde nur 1 Milliarde US-Dollar Privatkapital investiert, die Hälfte davon stammte aus zwei großen Deals. Dies liegt zum Teil sicher daran, dass Venture-Capital-Gesellschaften bereits investiert haben und nun erst einmal sehen möchten, wie sich die Branche entwickelt, bevor sie weiter investieren. Man sollte sich vor Augen halten, dass es sich insgesamt um einen vergleichsweise kleinen Markt mit Umsatzprognosen von 3 bis 9 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2030 handelt.

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Neben Privatanlegerinnen und -anlegern investieren viele Länder in die Entwicklung von Quantencomputern und Quantensoftware. Das Quantentechnologie- „Flagship“ der EU wird im Laufe der nächsten 10 Jahre beispielsweise 1 Milliarde Euro investieren. Deutschland plant, in den nächsten fünf Jahren 2 Milliarden Euro in Quantentechnologien zu stecken, und die französische Regierung hat Investitionen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro angekündigt. Natürlich gibt es auch die globalen Technologiegiganten wie Google, IBM und Honeywell, die ebenfalls hohe Summen einsetzen.

“Wir sind noch in der Kindergartenphase, in der wir mehr über die Technologie lernen, Hardware entwickeln und auswerten, welche Architektur infrage kommen wird“
Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek
Leitende Direktorin des Forschungsinstituts CODE

Wie steht es angesichts all dieser Investitionen beim Rennen um den Quantencomputer? Wie schätzen Sie die Lage ein?

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Khalil Rouhana, der stellvertretende Direktor der für Kommunikationsnetze und Technologien verantwortlichen EU-Generaldirektion „Connect“, sagte: „Quantencomputer sind die Zukunft Europas.“ Und wie schon gesagt, für andere Länder hat die Quantentechnologie ebenfalls strategische Priorität. Es gibt also ein Rennen, in dem niemand den Anschluss verlieren möchte. Wir wollen schließlich keine zwiegespaltene Gesellschaft, in der die eine Hälfte Quantentechnologie beherrscht und die andere nicht. Zusammenarbeit ist hierfür der Schlüssel: Universitäten, Start-ups, Konzerne und öffentliche Einrichtungen müssen alle an einem Strang ziehen. Nur wenn wir interdisziplinäre Teams mit Vertreterinnen und Vertretern aus Physik, Informatik, Elektrotechnik und Quantentechnologie gründen, können wir die Herausforderungen meistern. Auch die Zusammenarbeit zwischen gut ausgebildeten und wissbegierigen Quanten-Enthusiasten ist ein Schlüssel zum Erfolg. Am Forschungsinstitut CODE der Universität der Bundeswehr München bieten wir deshalb Kurse in Quantenprogrammierung an und veranstalten Hackathons, um zukünftige Quantenanwendungen zu erforschen.

André König: Im letzten Jahr hat die Kooperation in der Praxis richtig Fahrt aufgenommen. Die Branche ist klein, aber sie wird immer zugänglicher. Ich sehe beispielsweise viel mehr Basisorganisationen, Meetups und Verbände. Ich habe sogar ein 15-jähriges Mädchen kennengelernt, das an seiner Highschool in New York einen Quantencomputing-Club gegründet hat. Doch weiter oben in der Kette treten einige Probleme auf. In den USA gibt es einen Gesetzesentwurf über das Exportverbot der Quantentechnologie. In Europa gab es auch einige Kontroversen darüber, die Zusammenarbeit mit der Schweiz und Israel zu verbieten. Beide Länder sind Quantenhochburgen und haben Kapital, sind aber nicht in der EU.

Wie schneidet Europa im Vergleich zum Rest der Welt ab?

André König: Hier gilt es, zwischen Forschung und Praxis zu unterscheiden. Erstere ist weit verbreitet und etabliert – vor allem in Westeuropa, aber auch in den USA und in Kanada, Israel, Australien, China und Russland. In der praktischen Anwendung sind die USA allen anderen weit voraus.

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Es ist schon bezeichnend: Europa ist in der Forschung weit voran, während die Hardware und Quantencomputer selbst hauptsächlich in den USA hergestellt werden. Es ist gut, dass sich das ändert. Auch Deutschland entwickelt zusammen mit Partnern eigene Quantencomputer.

Eine der größten Herausforderungen für die Zuverlässigkeit und Effektivität von Quantencomputern ist die Dekohärenz oder das Rauschen. Warum ist das so wichtig?

André König: Die fortschrittlichsten Maschinen haben derzeit etwa 72 Qubits. Die Skalierung auf Tausende oder Millionen Qubits – was für die praktische Umsetzung erforderlich ist – ist wirklich schwierig. Auf den Chips ist nicht genug Platz für die Mess- und Regelwerkzeuge und es ist schwierig, eine geräuschfreie Umgebung aufrechtzuerhalten. Viele kluge Wissenschaftler haben Software und Algorithmen entwickelt, um die Fehler zu mindern oder zu beheben, die durch diese komplexen Umstände entstehen. Dann gibt es auch diejenigen, die eine völlig andere Modalität ausprobieren wollen, wie zum Beispiel die Entwicklung von inhärent stabilen Qubits. Es gibt also viele verschiedene Ansätze, die unterschiedliche technische Herausforderungen mit sich bringen. Letztendlich bin ich zuversichtlich, dass wir diese Produktprobleme lösen werden.

Worüber machen Sie sich außerdem Gedanken, was die Zukunft der Quantentechnologie angeht?

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Sicherheitsbedrohungen sind sicherlich ein Grund zur Sorge. Heutzutage gibt es eine klare Asymmetrie zwischen Kriminellen und Angegriffenen. Während die Kriminellen eine einzige Schwachstelle ausnutzen, müssen auf der anderen Seite mehrere Schwachstellen vor Angriffen und auch unbekannten Bedrohungen geschützt werden. Um diese Asymmetrie zugunsten der Angegriffenen umzukehren, muss die Angriffsfläche ständig verändert werden. Quantencomputer sind nicht nur schnell, sondern werden einige Probleme lösen, die heutzutage unlösbar sind. Unsere aktuellen Sicherheitsansätze und Schutzmaßnahmen werden in einigen Bereichen nicht ausreichend sein. Hier kommt Post-Quanten-Kryptografie ins Spiel. Unser Ziel wird darin bestehen, eine Technologie zu entwickeln, die von Quantencomputern nicht angegriffen werden kann (Quantum-Safe). Deshalb sind Investitionen in Post-Quanten-Kryptografie unerlässlich. Quantum Machine Learning ist ein weiterer vielversprechender Forschungsbereich.

André König: Wenn wir an den Punkt kommen, an dem ein Quantencomputer die nationale Infrastruktur angreifen oder gar zerstören kann, ist es zu spät. Wir müssen also schneller handeln. Ich denke, dass Europa durch die Quantentechnologie etwas mehr Unabhängigkeit zurückgewinnen kann. Durch diese Technologie kann es andere Regionen in wichtigen Anwendungen überholen und einige der größten Herausforderungen der Gesellschaft bewältigen, wie z. B. die alternde Bevölkerung und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Leider sehe ich dies derzeit bei uns noch nicht, weil die Welt zwischen den USA und China gespalten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um die nationale Sicherheit geht. In Europa ist dies bisher noch kein großes Thema, was mir Sorgen bereitet.

“Die Quantentechnologie wird es ermöglichen, ein perfekt ausgewogenes Finanzportfolio, einen neuen Impfstoff oder eine verheerende neue Waffe zu kreieren, wobei nicht nur etwas Bestehendes verbessert, sondern etwas völlig Neues geschaffen wird.“
André König
Autor und Investor in Quantentechnologie

Wie würden Sie den aktuellen Stand der Technik in der Quantenindustrie zusammenfassen?

Prof. Dr. Dreo Rodosek: Quantenrechner werden die Welt verändern. Sie sind eine Revolution, keine Evolution. Doch nur ganzheitlich betrachtet kann die Technologie zum Wohl der Allgemeinheit genutzt werden. Wir müssen gemeinsam einen Weg finden, um die Technologie weiterzuentwickeln. Denn ansonsten können wir nicht durchschauen, welche Auswirkungen sie haben kann. Quantencomputer werden mit klassischen Supercomputern koexistieren, da diese sich für viele Probleme und Anwendungen besser eignen.

André König: Die Quantentechnologie unterscheidet sich von anderen technologischen Innovationen. Frühere Entwicklungen wie KI haben transformatives Potenzial, bieten jedoch nur inkrementelle Fortschritte. Die Quantentechnologie ist grundlegend anders. Sie wird es ermöglichen, ein perfekt ausgewogenes Finanzportfolio, einen neuen Impfstoff oder eine verheerende neue Waffe zu kreieren, wobei nicht nur etwas Bestehendes verbessert, sondern etwas völlig Neues geschaffen wird. Daher ist es wichtig, dass die Technologie zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt wird.

Biografien

Portrait von Prof. Gabi Dreo Rodosek
Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek, Leitende Direktorin des Forschungsinstituts CODE

Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek ist Leitende Direktorin des Forschungsinstituts CODE der Universität der Bundeswehr München (UniBw M). An der UniBw M hat sie zudem die Professur für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit inne. Darüber hinaus ist sie in zahlreichen anderen Positionen tätig sowie Koordinatorin des CONCORDIA-Projekts der EU, Mitglied des Global Future Council on Cybersecurity des Weltwirtschaftsforums und Mitglied des Beirats und des Aufsichtsrats der Giesecke+Devrient GmbH.

Portrait von Andre Koenig
André König, publizierender Autor, Referent und Investor für DeepTech

André König ist publizierter Autor, Referent und Investor für DeepTech. Zudem verfügt er über 25 Jahre Erfahrung in den Bereichen Fortune-500-Unternehmen, Beratung und Start-up-Gründungen. Er ist CEO von Interference Advisors, dem führenden Datenanbieter von Quantum Tech, Vorsitzender von OneQuantum, der führenden Quantum-Tech-Community-Organisation, und Managing Partner von Entanglement Capital, einem Quantum-Tech-Investmentfonds und Start-up-Accelerator.

Veröffentlicht: 08.06.2021

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