Indiens digitaler Aufschwung und das Bargeldparadoxon
Obwohl viele asiatische Länder digitale Zahlungslösungen einführen, können nur wenige einen vergleichbaren Erfolg wie Indien vorweisen. Das Land hat sich von einer bargeldlastigen Gesellschaft zu einem der weltweit führenden Länder im digitalen Zahlungsverkehr entwickelt. Und das binnen einem Jahrzehnt – seit der Einführung des Unified Payments Interface (UPI) im Jahr 2016. Davor entfielen rund 78 % der POS-Transaktionen in Indien auf Bargeld, heute dominiert UPI mit 58 % dieser Transaktionen. Prognosen zufolge soll dieser Anteil bis 2030 auf 76 % steigen.2
Doch das bedeutet nicht, dass UPI das Bargeld ersetzt hat – ganz im Gegenteil: Zwar hat das Bargeld seinen dominierenden Anteil an den POS-Transaktionen verloren, aber das Gesamtvolumen des Bargeldumlaufs steigt weiterhin jährlich um vier Prozent. Derzeit befinden sich 140 Milliarden Banknoten im Umlauf. Diese Gegensätzlichkeit spiegelt die unterschiedlichen Bedürfnisse der enormen Bevölkerung sowie die geografische Lage Indiens wider.
„In großen Metropolen wie Mumbai, Bangalore oder Delhi findet man überall UPI-gestützte Zahlungen“, sagt Suresh M. S., Head of Sales bei G+D in Indien. „In kleineren Städten und ländlichen Gegenden hingegen dominiert nach wie vor das Bargeld.“ Die Gründe für dieses Phänomen lassen sich leicht erklären.
Je weiter man sich von den Ballungszentren entfernt, desto eher stößt man auf Probleme mit der technischen Infrastruktur für digitale Zahlungen. Auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten spielen eine Rolle: Viele kleine Händler und Tagelöhner ziehen es vor, Zahlungen in bar zu erhalten und auszugeben, da dies für kleine alltägliche Einkäufe bequemer ist, insbesondere in ländlichen Regionen. Bargeld ist schlichtweg praktischer. Mangelnde digitale Kompetenz und finanzielle Eingliederung sind weitere Hürden, die die ländliche Bevölkerung in der Vergangenheit vom digitalen Ökosystem ausgeschlossen haben. Allerdings hat das indische Aadhaar-System in dieser Hinsicht erhebliche Fortschritte gebracht.
Das im Jahr 2009 eingeführte Aadhaar-System ist ein landesweites digitales Identifizierungsprogramm. Es weist den Bürgerinnen und Bürgern eine eindeutige, auf biometrischen und demografischen Daten basierende zwölfstellige Identifikationsnummer zu. Banken und Finanzinstitute können damit in kürzester Zeit Identitäten überprüfen, was die Eröffnung von Bankkonten und den Zugang zu Finanzdienstleistungen erheblich vereinfacht – insbesondere für die Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die bisher keine Bankverbindung haben.
Indien hat bei der Entwicklung seiner Infrastruktur und Wirtschaft enorme Fortschritte erzielt, um die finanzielle Eingliederung in diesem riesigen Land zu verbessern – das Aadhaar-System und UPI sind nur zwei Beispiele dafür. Trotzdem wird Bargeld weiterhin eine große Rolle spielen, wie die kontinuierliche Zunahme des Banknotenumlaufs zeigt.
Die indische Zentralbank (Reserve Bank of India, RBI) ist sich dessen mehr als bewusst: In den nächsten fünf Jahren plant sie, in erheblichem Umfang in die Modernisierung ihrer Infrastruktur für das Bargeldmanagement zu investieren, um für alle Bürgerinnen und Bürger den Zugang zu Bargeld sicherzustellen. Da die Menge der im Umlauf befindlichen Banknoten weiter ansteigen wird3, sollen angemessene Lager- und Verarbeitungskapazitäten geschaffen werden. Ein deutliches Zeichen dafür, dass das Bargeld in Indien langfristig erhalten bleibt. Mit dem Projekt will die RBI zudem ihre betriebliche Effizienz steigern, die Sicherheit erhöhen und die Nachhaltigkeit verbessern.