Eine Frau im Rollstuhl bezahlt mit Karte
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Barrierefreies Bezahlen: Führungskräfte von G+D und Microsoft im Gespräch

Interview
9 Min.

Inklusive Designprinzipien sollten bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Zahlungsverkehr wie das Thema Sicherheit behandelt werden: als unverzichtbares Kriterium. Eine für alle zugängliche Gestaltung wird zwar häufiger bedacht, ist aber kein Standard. Im exklusiven Spotlight-Interview sprechen Hector Minto, Lead Accessibility Evangelist & Director bei Microsoft, und Thomas Götz, Director of Managed Card Issuance bei G+D, über die Bedeutung branchenübergreifender Zusammenarbeit und darüber, was Banken von Big-Tech-Unternehmen lernen können.

Das Wichtigste zuerst: Warum hat Barrierefreiheit eine hohe Bedeutung?

Thomas: Für mich ist Barrierefreiheit eine Herzensangelegenheit, sowohl persönlich als auch beruflich. Ich bin seit 30 Jahren bei G+D tätig, davon 25 Jahre im Bereich Karten und Dienstleistungen. G+D ist ein Global Player im Bereich der Sicherheitstechnologie und einer der drei weltweit führenden Anbieter von Bezahlkarten. Als Director of Card Issuance Services bin ich für unser weltweites Portfolio an Kartenausgabediensten verantwortlich, das ich betreue und bei dem wir uns intensiv mit den Anforderungen der Barrierefreiheit auseinandersetzen.

Ich selbst lebe seit 25 Jahren mit Multipler Sklerose. Meine kognitiven Fähigkeiten haben sich nicht verschlechtert, aber meine körperlichen Beeinträchtigungen sind im Laufe der Zeit immer stärker geworden, was sich in den letzten fünf Jahren vor allem auf meine Mobilität und Sinneswahrnehmung ausgewirkt hat. Durch diese Erfahrungen habe ich eine ganz andere Sichtweise entwickelt und bin noch mehr davon überzeugt, dass wir Barrierefreiheit in unseren Alltag integrieren müssen.

“Es fängt alles mit den Menschen an. Je mehr Organisationen über Inklusion am Arbeitsplatz sprechen, desto mehr wird sich in diesem Bereich bewegen.“
Hector Minto
Lead Accessibility Evangelist, Microsoft

Hector: Der Umgang mit modernen Technologien wie Smartphones ist heute gang und gäbe. Für die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher sind sie das Tor zur Welt. Es ist daher wichtig, die Technologie so zu gestalten, dass alle Menschen sie nutzen können. Vieles wurde bereits erreicht, aber jetzt ist jede Branche gefordert, darüber nachzudenken, wie sie Barrierefreiheit gewährleisten kann.

Wie haben Sie den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft in Richtung Barrierefreiheit erlebt und was waren die wichtigsten Faktoren für diesen Wandel?

Thomas: In der Diskussion um Barrierefreiheit wird oft auf die alternde Bevölkerung verwiesen. Der demografische Wandel mag das Bewusstsein für dieses Thema geschärft haben, aber ich glaube, dass sich die Gesellschaft insgesamt weiterentwickelt hat. Unser Verständnis von Inklusion und Gleichberechtigung hat sich deutlich verbessert und Barrierefreiheit ist zu einem wichtigen Thema für Unternehmen, Behörden und für das Gemeinwesen geworden.

Wir erleben, wie immer mehr Organisationen Barrierefreiheit zu einem zentralen Thema machen und immer mehr Vorschriften erlassen, die einen gleichberechtigten Zugang für alle sicherstellen sollen. Dieser Prozess wird durch zwei wichtige Aspekte beschleunigt: die konkreten Bedürfnisse einer immer älter werdenden Bevölkerung und die zunehmende Erkenntnis, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten, das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zu Dienstleistungen und Möglichkeiten hat. Die Kombination dieser beiden Faktoren hat die Entwicklung hin zu einer integrativeren Gesellschaft erheblich vorangetrieben.

Hector: Ich stimme Thomas zu, es geht um mehr als nur die alternde Bevölkerung. Menschen, die mit einer Beeinträchtigung geboren wurden, finden durch Organisationen und Bewegungen eine gemeinsame Stimme. Dadurch wächst in der Gesellschaft das Bewusstsein, niemanden deswegen auszugrenzen. Und es geht nicht nur um körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch um die Einbeziehung von Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen Fähigkeiten und Bildungsniveaus.

Eine Frau im Rollstuhl bezahlt mit ihrem Smartphone

Warum haben bisher vor allem große Technologieunternehmen wie Microsoft eine Vorreiterrolle bei der Förderung von Barrierefreiheit und Inklusion übernommen?

Hector: Die Antwort ist einfach: Wir sind eben schon länger im Geschäft. Schon als wir Mitte der 90er-Jahre damit begannen, die Menschen mit mobilen Geräten auszustatten, mussten wir und unsere Mitbewerber im Technologiesektor Funktionen entwickeln, die auch für Menschen mit Beeinträchtigungen geeignet waren. Seitdem haben auch andere Unternehmen damit begonnen, mehr Produkte für Menschen mit Beeinträchtigungen zu entwickeln.

Langfristig wird es jedoch nicht ausreichen, Barrierefreiheit nur in der Technologiebranche voranzutreiben. Damit unsere Systeme wirklich inklusiv sind, müssen alle Branchen dafür sorgen, dass die Webseiten und Apps, die Sie zum Beispiel für Ihre Bank nutzen[M1] , barrierefrei sind. Hier ist die Finanzwirtschaft gefragt.

Hector Minto beschäftigt sich seit fast drei Jahrzehnten mit unterstützenden Technologien. Als leitender Accessibility Evangelist von Microsoft setzt er sich für innovative digitale Lösungen und integrative Konzepte ein, damit Menschen mit Beeinträchtigungen besser auf Technologien zugreifen können und ihre Nutzungsmöglichkeiten verbessert werden. Er ist eine treibende Kraft in der Zusammenarbeit mit Interessenvertretern und -vertreterinnen von Microsoft, großen Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen, um das Bewusstsein und die Akzeptanz von Standards und Praktiken für Barrierefreiheit in allen Branchen zu fördern.

Wie wollen Sie das erreichen?

Hector: Aus meiner Sicht fängt alles mit den Menschen und ihrer Stimme an. Je mehr Organisationen über Inklusion am Arbeitsplatz sprechen, desto mehr wird sich in diesem Bereich bewegen. Wenn mich Menschen mit Beeinträchtigungen fragen, wie sie den ersten Schritt in Richtung Barrierefreiheit machen können, rate ich ihnen, sich zunächst einmal selbst zu befragen. Was wünschen sie sich im Umgang mit anderen? Sobald man sich darüber im Klaren ist, hat man eine Grundlage, um barrierefreie Systeme zu entwickeln, die man auch wirklich umsetzen will, anstatt nur gesetzliche Auflagen zu erfüllen.

“Schaut man sich unsere Geschichte an, so war Sicherheit schon immer die Kernkompetenz von G+D. Angesichts dieser Tragweite wurde uns klar, dass Barrierefreiheit genauso wichtig ist.“
Thomas Götz
Director of Managed Card Issuance, G+D

Hector, Sie haben auf dem Workshop im Namen von Microsoft gesprochen. Wie war Ihr Eindruck?

Hector: Es war fantastisch. Persönliches Zusammenkommen ist ja so wichtig. Ich konnte Entwicklerinnen und Entwickler treffen und ihnen Tipps zur Gestaltung verschiedener Produkte geben. Alle, mit denen ich gesprochen habe, waren hoch motiviert. Obwohl jeder und jede seine/ihre ganz eigenen Gründe hat, für ein Unternehmen zu arbeiten, werden die Mission und der gesellschaftliche Einfluss immer wichtiger. Es war deutlich zu spüren, dass es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops wirklich wichtig ist, Inklusion zu fördern und die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Auch was Innovationen angeht, herrschte eine echte Aufbruchstimmung. Nicht die Einhaltung von Regeln oder Vorschriften stand im Vordergrund, sondern der Austausch innovativer Ideen zur Förderung inklusiver Erfahrungen.

Können Sie Beispiele nennen?

Thomas: Wir haben eine umfassende Sammlung von Musterkarten, die während des Workshops auf großes Interesse stießen. Besonders beliebt waren die sensorischen Karten für Menschen mit einer neurodiversen Störung, die mithilfe ihres Geruchssinns verschiedene Karten identifizieren können. Sie sind noch kein Massenprodukt, aber sie sind ein gutes Beispiel für die Innovationen, die wir im Bereich der Bezahlkarten entwickeln. Sie zeigen, wie weit die Personalisierung gehen kann, um mit unterschiedlichen Funktionen unterschiedliche Bedürfnisse zu erfüllen.

Hector: Es gab ganz unterschiedliche Düfte, beispielsweise nach frischem Obst oder frisch gemähtem Gras. Ich fand diese Karten wirklich faszinierend, weil sie Menschen mit Beeinträchtigungen zusätzliche Informationen bieten.

Das klingt in der Tat faszinierend! Die sozialen und moralischen Beweggründe sind nachvollziehbar, aber was spricht aus geschäftlicher Sicht dafür, Zahlungen barrierefrei zu gestalten?

Thomas: Ganz einfach: Wollen die Banken ihre derzeitige Marktposition im Zahlungsverkehr behalten, ist Nichtstun keine Option. Man muss mit der Zeit gehen. Bei G+D dreht sich seit 170 Jahren alles um die Themenschwerpunkte Sicherheit und Bezahlen. Auch wir mussten und müssen uns ständig anpassen und innovativ sein. Wenn Banken wettbewerbsfähig bleiben wollen, darf Barrierefreiheit keine Frage der Freiwilligkeit sein.

Hector: Wir bei Microsoft wollen inklusive Produkte anbieten. Und wir freuen uns, wenn andere Organisationen von unseren Erfahrungen lernen – sei es bei Fragen zur Kapitalrendite oder dazu, wie man das Kundenerlebnis mit den regulatorischen Vorgaben und der Rentabilität in Einklang bringt, um die Inklusion voranzutreiben. Genau darum geht es uns. Beim Thema Kapitalrendite muss man die Dinge jedoch nicht auf Projektebene, sondern ganzheitlich betrachten.

Die Möglichkeiten, die eigene Marke durch mehr Inklusion zu stärken, sind enorm. Wenn man bedenkt, dass jeder sechste Mensch eine Beeinträchtigung hat und die Hälfte der Weltbevölkerung jemanden mit einer Beeinträchtigung kennt oder liebt, dann gibt es jede Menge Kundinnen und Kunden, die sich dafür interessieren. Was würde es für Ihr Ansehen bedeuten, wenn Sie diesen Kundinnen und Kunden zeigen, dass Sie ihre Nutzererfahrung wirklich schätzen? Die Auswirkungen auf Kultur, Innovation und Kundenerfahrungen auf ganzheitlicher Ebene sind immens.

Ein Mann im Rollstuhl an der Kasse

Aufbauend auf dem Erfolg des Workshops: Welche Rolle kann G+D bei der Förderung einer branchenübergreifenden Zusammenarbeit im Zahlungsverkehr spielen?

Thomas: Ob physische oder digitale Technologien, es gibt viele Möglichkeiten. Die Herausforderung besteht darin, sie in ein funktionierendes, für Endnutzerinnen und Endnutzer zugängliches Ökosystem zu integrieren. Wir sind aufgrund unserer Expertise in den Bereichen Sicherheit und Bezahlen in einer guten Position, um die beteiligten Akteure in dieser Hinsicht zu beraten. Wir sehen uns als eine Art Vermittler, der Banken, Zahlungsanbieter, Technologieunternehmen und andere relevante Parteien zusammenbringt, um gemeinsam an inklusiven Lösungen zu arbeiten. Die positive Resonanz auf den Workshop hat uns bestätigt, dass diese Rolle wichtig ist, und uns in unserem Engagement bestärkt, die branchenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern.

Hector: Bei Microsoft stehen wir in einem gesunden Wettbewerb mit anderen Technologieunternehmen, aber wenn es um die ganz großen Herausforderungen geht, ziehen wir alle an einem Strang. Das Gleiche gilt für G+D, das durch die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Organisationen in der Lage ist, die notwendigen Veränderungen voranzutreiben. Wer auf diese Weise Akteure zusammenbringt und Erfahrungen austauscht, kann die besten Ansätze identifizieren und Standards setzen. Nicht Konkurrenz, sondern Kooperation treibt dabei den Fortschritt voran.

Welchen Rat haben Sie für Banken, die das Thema Barrierefreiheit gerade erst für sich entdecken?

Thomas: Eine unserer wichtigsten Botschaften beim Workshop war, klein anzufangen und Schritt für Schritt zu wachsen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich nicht jede Art von Beeinträchtigung mit nur einer einzigen Funktion kompensieren lässt. Man kann jedoch damit beginnen, einzelne Produkte zu entwickeln, die bestimmte Bedürfnisse erfüllen.

Auf diese Weise können Banken schrittweise ein umfassendes Portfolio barrierefreier Lösungen aufbauen. Mit der Zeit wird die Barrierefreiheit – so wie heute der Sicherheitsaspekt ­– zum festen Produktbestandteil. Dieser Ansatz stellt sicher, dass Barrierefreiheit von Anfang an nahtlos in den Entwicklungsprozess integriert und nicht erst im Nachhinein berücksichtigt wird.

Mein Rat an die Banken ist, zunächst die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu verstehen. Setzen Sie sich mit Menschen zusammen, die die Herausforderungen der Barrierefreiheit aus erster Hand kennen, und beziehen Sie sie in die Entwicklungs- und Testphasen ein. Dieser nutzerzentrierte Ansatz wird dazu beitragen, Lösungen zu schaffen, die wirklich effektiv und inklusiv sind.

Hector: Wenn Sie sich auf dem Markt umsehen, werden Sie feststellen, dass einige Banken das Thema Barrierefreiheit aus regulatorischer Sicht angehen, andere aus der Perspektive des Kundenservice. Man kann über die Vorteile beider Ansätze diskutieren. Aber ich würde Ihnen raten, den Ansatz zu wählen, der für Sie am besten funktioniert, und daraus Ihre eigene interne Begründung abzuleiten. Oder Sie suchen sich aus beiden Modellen das Passendste aus. In jedem Fall werden Sie eine überzeugendere Unternehmensphilosophie entwickeln und Ihren Kundinnen und Kunden eine positivere Erfahrung bieten können.

Key Takeaways

  • Barrierefreiheit ist bei Zahlungsdiensten ebenso wichtig wie Sicherheit – inklusive Konzepte sind nicht verhandelbar.
  • Große Technologieunternehmen sind bei der Barrierefreiheit führend, künftige Fortschritte hängen jedoch vom breiten Engagement und von der Zusammenarbeit der Branche ab.
  • Repräsentation ist wichtig. Die Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Entwicklungsprozess stellt sicher, dass Innovationen auch wirklich ihren Bedürfnissen entsprechen.

Veröffentlicht: 30.07.2024

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