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Die neue Welt: Zahlungsverkehr in Südamerika

Insights
7 Min.

In unserer Spotlight-Serie über regionale Zahlungspräferenzen haben wir bereits über die Zahlungssysteme in Indien und den USA berichtet. In unserem aktuellen Beitrag widmen wir uns einigen Ländern Lateinamerikas. Bargeld spielt hier nach wie vor eine wichtige Rolle, doch Karten- und digitale Zahlungen sind in der gesamten Region im Aufwind, allen voran die digitalen Geldbörsen.

Südamerika ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend: Die Gesamtbevölkerung von fast 600 Millionen Menschen verteilt sich auf sage und schreibe 33 Länder.1 Und die Einwohnerinnen und Einwohner sprechen fast ebenso viele Sprachen: Spanisch, Portugiesisch, Quechua und Guarani, aber auch englisches oder karibisches Hindustani – um nur einige zu nennen. Der Kontinent erstreckt sich von Mexiko an der Südgrenze der USA bis zur Südspitze, von wo aus Expeditionsschiffe zum Südpol aufbrechen. In Lateinamerika befinden sich einige der bevölkerungsreichsten Städte der westlichen Hemisphäre, aber auch scheinbar endlose Karibikstrände, einige der höchsten Berggipfel in den Anden sowie die grüne Lunge unseres Planeten – der Amazonas-Regenwald. Die Vielfalt dieser Region zeigt sich auch in der Art und Weise, wie die Menschen für Waren und Dienstleistungen bezahlen.

„Um Südamerika zu verstehen, braucht es Zeit“, sagt Jordi Mier, Commercial Vice President für Lateinamerika bei G+D. „Ich selbst lebe in Mexiko-Stadt. Ein Nonstop-Flug nach São Paulo in Brasilien dauert mehr als neun Stunden! Da verändert sich unten am Boden so einiges, während man in der Luft ist.“

Dazu gehört auch der Zahlungsverkehr: Die Zentralbanken in der Region verfolgen unterschiedliche Richtlinien und Vorschriften. Dies hat zur Folge, dass die Akzeptanz von Karten- oder digitalen Zahlungen von Land zu Land sehr unterschiedlich sein kann. Dennoch lassen sich – unter dem Vorbehalt, dass es sich hierbei um sehr grobe Kategorisierungen handelt – einige Trends erkennen, die für die sich entwickelnde Zahlungslandschaft prägend sind.

Bargeld hat bleibenden Wert

Bargeld dominiert weiterhin die Bezahllandschaft in Lateinamerika und der Karibik, so ein aktueller Bericht eines internationalen Beratungsunternehmens, der auf zwei Umfragen aus den Jahren 2021 und 2023 basiert. (Brasilien und Mexiko wurden in diesen Umfragen nicht berücksichtigt.) In der Umfrage von 2023 gaben 70 Prozent der Befragten an, im vergangenen Monat Bargeld verwendet zu haben.2 Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass dies auch mittelfristig so bleiben wird, und nennt dafür zwei Gründe:

  1. In der Region gibt es viele Händlerinnen und Händler, die nur Bargeld akzeptieren.
  2. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung arbeiten schwarz und werden bar bezahlt.

„Bargeld ist in der Region nach wie vor sehr präsent“, sagt Wilmer Hernán Gutiérrez Ramos, Solution Sales Manager für Finanzplattformen bei G+D. „Ich arbeite in Bogotá, Kolumbien. Obwohl digitale Wallets wie Nequi und DaviPlata immer beliebter werden, spielt Bargeld immer noch eine große Rolle.“

Auch aufgrund der jüngsten globalen und regionalen Krisen setzen  südamerikanische Zentralbanken, weiterhin auf die ausreichende Bereitstellung von Bargeld. Die physische Präsenz von Bargeld und seine bewährte Eigenschaft als Wertanlage verleihen ihm Vertrauen und es widersteht Krisen wie der Inflation.

Im Jahr 2023 war Bargeld an den Points of Sale (POS) in den Ländern Argentinien, Kolumbien, Mexiko und Peru das beliebteste Zahlungsmittel.3 Mit dem Wachstum digitaler Ökosysteme und der Teilnahme von immer mehr Menschen am etablierten Bankensystem dürften sich die Zahlungsgewohnheiten weiter diversifizieren.

US Dollar Bargeld

Kreditkarten im Aufwind

Einem Bericht zufolge lag die Nutzung von Bargeld und Kreditkarten mit jeweils 29 Prozent an den Verkaufsstellen (Point of Sale; POS) 2023 in der gesamten Region gleichauf.4 Außerdem geht man davon aus, dass Kreditkarten im Jahr 2024 wohl den ersten Platz einnehmen werden. Kredit- und Debitkarten machen zusammen mehr als die Hälfte der persönlichen Ausgaben nach Wert aus. Die Präferenzen für Zahlungsmethoden unterscheiden sich von Land zu Land, heißt es in dem Bericht weiter: In Brasilien entfallen 36 Prozent der POS-Ausgaben auf Kreditkarten, während in Chile insgesamt 37 Prozent des POS-Werts mit Debitkarten bezahlt werden. Offensichtlich werden Zahlungskarten in der Region immer häufiger verwendet, wobei der Kartentyp je nach Land unterschiedlich ist. Regulatorische Fragen und aktuelle Verhältnisse spielen hierbei eine Rolle.

Luis Cirerol, Commercial Director Mexiko, CAC und der Andenregion bei G+D, ist optimistisch, was das Kartengeschäft in den Volkswirtschaften der Region betrifft, hebt jedoch regionale Unterschiede und aktuelle Ereignisse als mögliche Herausforderungen hervor. „In Mexiko, wo ich zu Hause bin, werden Kredit- und Debitkarten schon häufig genutzt. Die Ausgangslage ist also bereits sehr gut. Man darf nicht vergessen, dass viele Länder nach wie vor unter einer hohen Inflation leiden. In solchen Zeiten sind die Verbraucherinnen und Verbraucher oft zurückhaltend, wenn es um die Aufnahme von Krediten geht, und auch die Banken sind vorsichtiger bei der Kreditvergabe.“

Große Geschäftsbanken in Lateinamerika haben sich, angeregt durch die technisch versierten und agilen Neobanken und andere Fintechs, für eine Digital-First-Strategie entschieden. Dazu gehört die Bereitstellung digitaler Bezahlkarten, die in digitalen Geldbörsen – wie auf dem Smartphone – genutzt werden können. Im Rahmen dieses Konzepts werden physische Karten nur noch ausgegeben, wenn:

  1. die Zentralbank es verlangt oder
  2. der Kunde dies ausdrücklich wünscht.

„Die Karte wird weiterhin genutzt, nur in einem anderen Format“, so Luis Cirerol. „Statt aus Plastik ist sie künftig digitalisiert.“

In jeder Tasche eine digitale Geldbörse?

Ein herausragendes und erfolgreiches Beispiel für digitale Zahlungen in der Region ist Pix – ein Platzhirsch für digitale Zahlungen in Brasilien und einer der wenigen weltweit. Pix wurde von der Zentralbank des Landes, der Banco Central do Brasil (BCB), entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Ökosystem für Echtzeitzahlungen, das es „seinen Nutzerinnen und Nutzern – Privatpersonen, Unternehmen und behördlichen Einrichtungen – ermöglicht, jederzeit Zahlungen zu senden und zu empfangen, selbst an arbeitsfreien Tagen.5 Die Nutzung der Plattform ist allein im Jahr 2023 um 74 Prozent auf 42 Milliarden Zahlungen gestiegen.6 

Die Unterstützung der Regierung hat zur Akzeptanz in der Geschäftswelt beigetragen. Das stärkt wiederum das Ökosystem durch neue Nutzerinnen und Nutzer. Tatsächlich ähnelt der Erfolg dem des UPI-Ökosystems in Indien, wo sich den technikaffinen Nutzerinnen und Nutzern der ersten Stunde zunehmend mehr Menschen aller Bevölkerungsschichten anschließen, darunter auch solche, die zuvor keinen Zugang zu Bankdienstleistungen hatten.

„Die Entwicklung und das Wachstum von Pix im Instant-Payment-Ökosystem ist der größte Trend, den wir derzeit auf dem Markt sehen“, sagt Jordi Mier. „Das wirbelt die bestehende Zahlungslandschaft kräftig durcheinander und andere Länder ziehen nach, etwa Kolumbien. Aber auch Peru mit Yape und Mexiko mit CoDi und DiMo schlagen diesen Weg ein.“

“Die Entwicklung und das Wachstum von Pix im Instant-Payment-Ökosystem ist der größte Trend, den wir derzeit auf dem Markt sehen.“
Jordi Mier
Commercial Vice President Latin America, G+D

Es sind vor allem zwei miteinander verbundene Aspekte, die andere Zentralbanken in der Region an Pix faszinieren.

  1. Interoperabilität: Pix stellt die Plattform bereit, auf der die Geschäftsbanken ihre Angebote erstellen. Die Plattform ist bankenunabhängig und bietet verschiedene Zugangsmöglichkeiten, beispielsweise über das Telefon oder die E-Mail-Adresse einer Person oder über QR-Codes. Unternehmen können mehrere Identifikatoren oder „Schlüssel“ verwenden. Die Plattform ist A2A-fähig und die sofortige Verarbeitung mit wenig bis gar keinen Ausfallzeiten ist für alle, auch für kleine Unternehmen, attraktiv.
  2. Finanzielle Inklusion: Da die Navigation für neue Nutzerinnen und Nutzer intuitiv und das Ökosystem überall verfügbar ist, schließen sich immer mehr Menschen an und integrieren Bevölkerungsgruppen, die bisher keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen hatten, in das Finanzsystem. Dies ist eine zentrale Aufgabe einer Zentralbank.
Eine Frau beim Bezahlen in einem Café

Keine Closed Loop Wallets mehr

In einigen Ländern Lateinamerikas und der Karibik gehören sogenannte Closed Loop Wallets zum festen Bestandteil des Zahlungsverkehrs. Diese digitalen Geldbörsen werden beispielsweise in Kolumbien und Peru von den führenden Banken unterstützt. Händlerinnen und Händler sowie Privatpersonen können sich zur Nutzung mit ihrer Telefonnummer identifizieren oder QR-Codes verwenden. Allerdings gilt der QR-Code eines Händlers nur für eine bestimmte Plattform. So muss sich zum Beispiel in Kolumbien ein Nequi-Nutzer/eine Nequi-Nutzerin erst für das Ökosystem einer anderen Bank registrieren, das heißt in der Regel ein Konto eröffnen sowie die App herunterladen – erst dann kann er/sie mit den Kundinnen und Kunden dieser Bank interagieren und Geschäfte machen.

Finanzdienstleister in der Region drängen jedoch darauf, diese Interoperabilitätslücke zu schließen. Die Central Reserve Bank of Peru hat inzwischen sogar die Interoperabilität zwischen den beiden dort beliebten Wallets Yape und Plin vorgeschrieben.7 Es wird mittlerweile erwartet, dass Angebote unterschiedlicher Finanzinstitute miteinander kompatibel sind.

Eine andere Lösung wäre die Entwicklung einer völlig neuen Plattform unter dem Dach einer Zentralbank oder vergleichbaren Regulierungsbehörde – so wie die bereits erwähnte CoDi in Mexiko. Obwohl die Nutzerzahlen steigen, wächst CoDi nicht so vertikal wie Pix in Brasilien.

Internationale Überweisungen

Ein wichtiger Teil grenzüberschreitender Transaktionen sind Gelder, die von im Ausland lebenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Region in ihre Heimatländer in Lateinamerika überwiesen werden. So beliefen sich beispielsweise die Überweisungen aus den USA in das benachbarte Mexiko im Jahr 2022 auf über 63 Milliarden US-Dollar.8

Die Gebühren für Überweisungen aus den USA betragen durchschnittlich knapp sechs Prozent, sind aber zwischen 2015 und 2023 unverändert geblieben. Zwischen den Nachbarstaaten Costa Rica und Nicaragua hingegen haben sie sich im gleichen Zeitraum verdoppelt (von drei auf sechs Prozent).9 Zwar kommen die meisten Überweisungen aus den USA, aber nicht alle. Auswanderinnen und Auswanderer suchen ihr Glück auch an anderen Orten in der Region. Hier gibt es noch viel zu tun, damit Ausgewanderte  künftig noch schneller, einfacher und kostengünstiger Geld in ihre Heimatorte senden können.

Wenn von der Erleichterung grenzüberschreitender Überweisungen die Rede ist, geht es auch um digitale Zentralbankwährungen (CBDCs). Der Bedarf ist vorhanden: Durch die fortschreitende Digitalisierung der Banken und den Markteintritt agiler Neobanken und Fintechs könnte es auf dem Markt bald günstigere und schnellere Möglichkeiten für grenzüberschreitende Überweisungen geben – vorausgesetzt, es wird für die notwendige regulatorische Unterstützung gesorgt.

E-Commerce-Betrug bleibt eine Bedrohung

Im Bereich des Zahlungsverkehrs gibt es jedoch nicht nur positive, sondern auch negative Entwicklungen. Wie in anderen Teilen der Welt nehmen auch in Lateinamerika Betrugsfälle zu, insbesondere im Online-Bereich. 

Einer Studie zufolge belaufen sich die betrugsbedingten Umsatzeinbußen in Lateinamerika auf 20 Prozent, davon entfallen 3,7 Prozent auf betrügerische E-Commerce-Bestellungen.10 Betrügerinnen und Betrüger nutzen ständig neue Technologien, um Zahlungs- und andere digitale Systeme zu kompromittieren. Die Herausforderung besteht darin, sichere Transaktionen zu gewährleisten und gleichzeitig ein harmonisches Benutzererlebnis zu bieten.

Vor allem für Banken ist diese Problematik von Bedeutung, spielt der elektronische Handel doch mittlerweile eine wichtige Rolle für ihre Einnahmen, nicht zuletzt angesichts der Ereignisse der vergangenen Jahre. „Um die Weitergabe der Daten Ihrer physischen Karte zu minimieren, können Sie eine digitale Karte verwenden, die nur für Online-Käufe erstellt und verwendet wird“, so Jordi Mier. „Sie wird durch eine dynamische CVV-Nummer geschützt, die nur in Ihrer App existiert.“

Wilmer Hernán Gutiérrez Ramos verweist auf andere lokale Initiativen in der Region. „Peru verlangt jetzt eine Zwei-Faktor-Authentifizierung. Das zeigt, wie ernst die Behörden in der Region Betrug nehmen und mit welchen Strategien sie dagegen vorgehen.“

Es ist offensichtlich, dass ein konzertierter Ansatz zur Lösung dieses Problems erforderlich ist, bei dem alle Beteiligten ihr Fachwissen einbringen. Ein Vorgehen, das sich in jeder Hinsicht auszahlen wird.

Komplexität braucht Verständnis

Wer in einem großen und vielfältigen Markt wie Lateinamerika bestehen will, muss die örtlichen Gegebenheiten kennen. Sprache, Kultur und die Vielzahl der beteiligten Nationen sind nur einige der Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Mit Niederlassungen in der gesamten Region, von Mexiko über Kolumbien bis Brasilien, verfügt G+D über ein tiefes Verständnis lokaler Besonderheiten. In Kombination mit der globalen Reichweite und dem Leistungsportfolio in den Bereichen Zahlungsverkehr und Sicherheitstechnologie erweist sich G+D als idealer Partner für Lateinamerika.

Key Takeaways

  1. Bargeld bleibt wichtig, aber digitale Zahlungen gehören inzwischen zum Alltag
  2. Der Erfolg von Pix in Brasilien ist wegweisend für andere digitale Zahlungsökosysteme
  3. Zentralbanken und Interessengruppen stehen vor der Herausforderung, die Interoperabilitätslücke zwischen geschlossenen Geldbörsen/Ökosystemen in anderen Ländern zu schließen.
  4. E-Commerce-Betrug ist weiterhin eine große Bedrohung
  1. Our work in Latin America and the Caribbean, UN Environment Programme (UNEP)

  2. The rapid evolution of payments in Latin America, McKinsey, 2024

  3. The Global Payments Report 2024 (9th edition), Worldpay, 2024

  4. Ibid.

  5. What is Pix?, Banco Central do Brasil

  6. Brazil’s Pix payments are killing cash. Are credit cards next?, Marcela Ayres for Reuters, April 2024

  7. These are Latin America’s instant payment systems, Antony Pinedo for Iupana, February 2023

  8. Mexico: Remittances accumulate 10 years of increase and break record: 63.3bn in 2023, BBVA research, February 2024

  9. Remittances to Latin America still growing, Sonia Plaza for People Move/World Bank, July 2023

  10. Ecommerce fraud trends and statistics merchants need to know in 2024, Mastercard, 2024

Veröffentlicht: 04.10.2024

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