Das Metaverse – die Spiegelung realer Aktivitäten in immersiven digitalen
3-D-Räumen – ist eine der am meisten überschätzten (und vielleicht am wenigsten verstandenen) technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte.
Der erste Hype erreichte seinen Höhepunkt um die Jahreswende 2021/22, als Facebook-Eigentümer Meta seine Vision des Metaversums als „nächste Evolutionsstufe der sozialen Vernetzung und Nachfolger des mobilen Internets“ präsentierte und Tech-Analystinnen und -Analysten wie Gartner die kühne Prognose aufstellten, dass bis 2026 ein Viertel aller Menschen „mindestens eine Stunde pro Tag in verschiedenen Metaversen für Arbeit, Einkauf, Bildung, soziale Kontakte und/oder Unterhaltung“ verbringen würde.1
Bis heute hat sich diese ambitionierte Vision eher als virtuelles denn als reales Phänomen erwiesen – Meta selbst räumt ein, dass es noch zehn Jahre oder länger dauern könnte, bis ihre Version des Metaversums Früchte trägt. Der Hype hat sich abgekühlt, aber die zahlreichen Gerüchte vom „Ende des Metaversums“ erscheinen maßlos übertrieben und verfrüht.
Fakt ist: Das Proto-Metaverse ist bereits da. Das sagen zumindest informierte Beobachterinnen und Beobachter wie Magdalena Dellinger, Head of Technology and Innovation im Corporate Technology Office von G+D. Nach dem anfänglichen Hype werden viele zentrale Elemente des Metaversums nun nach und nach in neuen und angepassten Geschäftsmodellen umgesetzt.
Einige der wichtigsten Eigenschaften des Metaversums finden sich in zunehmend immersiven Virtual-Reality-Games und Augmented-Reality-Apps wieder. Aber auch in der Industrie, in erweiterten digitalen Zwillingsumgebungen, in der Prozesssimulation und in der Nutzung von Augmented Reality zur Verbesserung von Wartungsaufgaben findet es vermehrt Anwendung. Im Gesundheitswesen dient das Metaversum als Grundlage für die „erweiterte Realität“, die hochkomplexe Operationen unterstützt.2 Und es ist in Form von virtuellen Erlebnissen präsent, die praktische Schulungen, immersive Meetings und Brainstorming-Sitzungen ermöglichen.
Das Industrial Metaverse wird immer mehr zum Mainstream, da viele Unternehmen derzeit immer anspruchsvollere Anwendungsfälle erforschen oder implementieren. In der „2023 Industrial Metaverse Study“ von Deloitte gaben 92 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass ihr Unternehmen mit mindestens einem Anwendungsfall, der das Metaverse nutzt, experimentiert oder diesen bereits eingeführt hat. Im Durchschnitt werden derzeit mehr als sechs Anwendungsfälle realisiert. Laut den Beratern von Deloitte nutzen Hersteller die Dynamik ihrer Smart Factories als Sprungbrett in das industrielle Metaverse.3
Diese Einschätzung teilen auch die Berater von Arthur D. Little. Sie sehen das industrielle Metaversum als eine Weiterentwicklung einzelner Technologien, die bereits heute existieren. Diese werden aber schrittweise zu einem durchgängigen, realitätsnahen industriellen System erweitert, das auch externe Elemente außerhalb des Unternehmens und der Umwelt, in der es agiert, einbezieht. Das mag der Grund dafür sein, dass es heute noch keine Entität wie „das Industrial Metaversum“ gibt. Stattdessen existieren mehrere Plattformen, auf denen sich schnell entwickelnde Industrie-4.0-Technologien laufen, die derzeit noch nicht interoperabel sind, aber einen wichtigen Beitrag in diese Richtung leisten.4
Mit der zunehmenden Akzeptanz in der Industrie ergeben sich für Führungskräfte einige wichtige Fragen: Wo bietet die frühzeitige Nutzung des Industrial Metaverse das größte Potenzial für Produktivitäts- und Wettbewerbsvorteile? Was sind die größten Herausforderungen für Unternehmen beim Eintritt in diese neue Dimension des industriellen Metaverse – angefangen bei Identitätsfragen über Interoperabilität bis hin zu Zahlungsprozessen? Und wie wird sich dieses Konzept unter dem unvermeidlichen Einfluss von KI weiterentwickeln?