Illustration eines abstrakten Puzzels.
#Identity Technology

8 Milliarden Menschen – und 850 Millionen „Phantome“

Report
5 Min.

Weltweit hat jeder zehnte Mensch keine Möglichkeit, seine eigene Identität nachzuweisen. Da die Weltbevölkerung vor kurzem die 8-Milliarden-Marke geknackt hat, betrifft das rund 850 Millionen Menschen.

Zwar gibt es in wichtigen Bereichen Fortschritte – so haben zum Beispiel die Vereinten Nationen den Zugang zu einer legalen Identität zum Menschenrecht erklärt. Aber trotzdem ist das Ziel noch nicht erreicht, dass jeder Mensch die Möglichkeit bekommt, sich auszuweisen.

Warum ist das so wichtig? Fast überall auf der Welt ist eine legale Identität in Form von gültigen Ausweisdokumenten die Grundvoraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: vom Zugang zu Sozialsystemen, wie etwa Gesundheitsvorsorge oder Bildung, bis hin zur Beteiligung an globalen Wirtschaftskreisläufen. Wer seine Identität nicht zuverlässig nachweisen kann, bleibt ausgeschlossen.

Der 15. November 2022 wurde von den Vereinten Nationen zum „Tag der acht Milliarden“1 erklärt. Es war der Tag, an dem die Weltbevölkerung auf 8 Milliarden Menschen anwuchs. Ein außerordentlicher Meilenstein – in jeder Hinsicht.

Doch laut einer vor Kurzem veröffentlichten Untersuchung der Weltbank und von Findex Survey existieren weltweit rund 850 Millionen Menschen nicht – zumindest nicht offiziell. Diese Menschen, die meist südlich der Sahara und in Südasien leben, haben keine Möglichkeit, sich Ausweisdokumente ausstellen zu lassen.2 Auffallend viele sind Frauen und Kinder unter fünf Jahren.

Eine Mischung aus multiethnischen gedruckten Porträts, die über einen gelben Hintergrund verstreut sind

In den ärmsten Gegenden dieser Welt wächst die Bevölkerung oft am schnellsten. Und hier leben auch die meisten nicht offiziell registrierten Menschen. Dieser rechtliche „Phantomstatus“ ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Ohne legale Identitäten haben Bürgerinnen und Bürger keinen Zugang zu den Gesundheits- und Bildungssystemen ihrer Länder. Sie bekommen keine Sozialleistungen und können sich auch nicht am Wirtschaftsleben beteiligen. Sie können keine Unternehmen gründen, Darlehen aufnehmen oder Gehaltsüberweisungen erhalten.

Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist es, die Umsetzung der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen dauerhaft voranzutreiben. Diese Ziele wurden mit dem Bestreben aufgesetzt, die globale Entwicklung nicht nur ökologisch und wirtschaftlich, sondern auch sozial nachhaltig zu gestalten.

Die SDGs benennen legale Identität als Menschenrecht. Konkret fordert Ziel 16 in Unterpunkt 9, dass jeder Mensch bis 2030 eine legale Identität haben soll. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen weltweit alle Geburten zu 100 % registriert werden – und 80 % der Todesfälle.

Der Datensatz, der so entstehen würde, wäre von entscheidender Bedeutung. Aber das Ergebnis wäre ein weitaus größeres: So hätte jeder Mensch die Möglichkeit, in vollem Umfang am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.

“Eine legale Identität ist eine Voraussetzung für das moderne Leben in einer vernetzten Welt. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine legale Identität ein Menschenrecht ist.“
Marc-Julian Siewert
CEO Veridos

Legale Identität als Grundlage unseres Alltags

Für die meisten von uns ist eine legale Identität selbstverständlich. Wir denken meist nur darüber nach, wenn wir unseren Ausweis verloren haben oder er uns gestohlen wurde. Aber für diejenigen von uns, die noch nie über offizielle Ausweispapiere verfügt haben, türmen sich praktisch an jeder Ecke neue Hürden auf. Gerade unter rechtlichen Gesichtspunkten ist eine persönliche Identität unerlässlich.

Die legale Identität der Bürgerinnen und Bürger ist auch für die funktionierende Verwaltung eines Landes eine entscheidende Grundlage. Die Nachteile von unregistrierten Einwohnerinnen und Einwohnern liegen auf der Hand. Dazu gehören unter anderem:

  • die Möglichkeit, Wahlen zu manipulieren
  • Sozialleistungen lassen sich nicht effizient planen
  • Steuereinnahmen können nur schwer geprüft werden
  • Viele Jüngere haben kaum Zugang zu Bildung.

Für Menschen ohne legale Identität sind diese Auswirkungen unmittelbar spürbar. Dazu gehören unter anderem:

  • kein Zugang zum Bankensystem
  • keine Möglichkeit, international zu reisen
  • schlechtere Lebensqualität. Ohne Ausweis ist es schwer, Verträge abzuschließen, etwa für einen Telefonanschluss oder einen Mietvertrag.
  • keine Möglichkeit, zu wählen oder zu erben, da die Identität nicht bewiesen werden kann
  • kein Zugang zu Sozialleistungen

„Eine legale Identität ist eine Voraussetzung für das moderne Leben in einer vernetzten Welt“, erklärt Marc-Julian Siewert, Geschäftsführer von Veridos, einem Gemeinschaftsunternehmen von G+D und der Bundesdruckerei. Eine legale Identität sei ein Menschenrecht, so Siewert weiter: Nur mit einer legalen Identität kann jeder und jede Einzelne am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen.

Allein die fehlende Teilhabe am Bankensystem zeigt, wie fundamental die Auswirkungen sind, wenn die eigene Identität nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist. Ein Grund, warum manche Menschen keine oder nur wenige Bankgeschäfte tätigen, sind unzureichende oder gänzlich fehlende Ausweisdokumente.

Betroffen sind oft Migrantinnen und Migranten, die ohne gültige Ausweispapiere in einem fremden Land leben oder Menschen, die ihr Geburtsland noch nie verlassen haben. Ohne Ausweis ist es unmöglich, ein Konto zu eröffnen oder das moderne Finanzsystem in irgendeiner anderen Art zu nutzen.

Smartphones haben selbst die entlegensten Regionen unserer Welt erobert. Deshalb sollte diese digitale Technologie unbedingt auch dazu genutzt werden, Menschen weltweit Zugang zu den etablierten ID-Systemen ihres Landes zu verschaffen.

Das Ziel ist also klar. Aber wie können wir es erreichen?

Registrierung gleich nach der Geburt

Eines der wichtigsten Instrumente für legale Identität ist, Kinder zum Zeitpunkt ihrer Geburt offiziell zu registrieren. Weltweit haben Regierungen und ihre Partner mit dieser Methode große Fortschritte erzielt.

So waren im Jahr 2000 weltweit nur 60 % aller Kinder unter 5 Jahren in ihrem Heimatland registriert, 2019 waren es bereits 75 %.3 Unicef schätzt, dass weltweit noch 237 Millionen Kinder unter 5 Jahren keinen gültigen Ausweis besitzen. Doch ohne die gestiegene Zahl der Registrierungen bei der Geburt wäre diese Zahl um 100 Millionen höher und es gäbe weltweit eher 350 Millionen nicht registrierte Kinder.

Es gibt einige Gründe, vorsichtig optimistisch zu sein. Aber der Weg, Ziel 16 der SDGs der Vereinten Nationen bis 2030 zu erreichen, ist noch weit.

Ein weiteres positives Beispiel ist Bangladesch mit seinen rund 160 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und einer stark wachsenden Wirtschaft. Früher fiel es dem Land schwer, Kinder schon bei der Geburt zu registrieren, aber inzwischen macht es dabei große Fortschritte. Während 2006 nur 12 % der Kinder bei der Geburt registriert werden konnten, waren es 2019 schon 56 %4 . Zudem engagiert sich Bangladesch sehr für den Einsatz neuer, innovativer technischer Lösungen. Gemeinsam mit Veridos wurden elektronische Reisepässe erstellt, die seit 2020 ausgestellt werden. Dies zeigt, wie man mit Agilität und den richtigen Partnerschaften innovative Lösungen erreicht.

Facts & Figures

0% im Jahr 2000

Kinder < 5 weltweit mit gültigem Ausweis

0% im Jahr 2019

Kinder < 5 weltweit mit gültigem Ausweis

0% = 100 Millionen

Mehr Kinder < 5 weltweit mit gültigem Ausweis

Ein Mann checkt mit seinem digitalen Personalausweis auf seinem Smartphone ein

Wie realistisch ist das Ziel 2030?

Eine legale Identität basiert auf drei Säulen:

  • zuverlässige Registrierung
  • Identitätsnachweis
  • Schutz der Bürgerinnen und Bürger (und des Staates) vor Missbrauch

Die nötigen technischen Voraussetzungen und Lösungen gibt es bereits. Die große Herausforderung ist jedoch, diese einzusetzen, um das Ziel 16 der SDGs zu erreichen. Technologieunternehmen wie Veridos und G+D unterstützen Staaten dabei, ihre Bürgerinnen und Bürger mit offiziellen Ausweisdokumenten auszustatten.

Tatsächlich sind wir schon mittendrin in diesem Prozess, wie die steigenden Zahlen von Menschen mit legalen Identitäten weltweit zeigen. Dass Menschen überall auf der Welt Zugang zu legalen Identitäten haben sollten, ist international längst politischer Konsens. Auch immer mehr Unternehmen, darunter auch Veridos, treten dem Global Compact der Vereinten Nationen bei.

Wenn alle Beteiligten bereit sind, den eingeschlagenen Weg mit Nachdruck weiterzuverfolgen, können wir das ambitionierte Ziel gemeinsam erreichen.

Key Takeaways

  • Weltweit haben 850 Millionen Menschen immer noch keinen Zugang zu einer legalen Identität. Das schränkt ihren Zugang zum Bankensystem, zu internationalen Reisen, zum Wahlrecht und zu Sozialleistungen ein.
  • Kinder, die in den ärmsten Ländern geboren werden, sind unverhältnismäßig stark betroffen.
  • Länder wie Bangladesch machen vor, wie politischer Wille, gepaart mit technischem Fachwissen, dazu beitragen kann, eine große Zahl von Kindern bei der Geburt zu registrieren.
  1. Day of Eight Billion, United Nations, 2022

  2. ID4D Global Dataset, World Bank/Findex Survey, 2023

  3. What is birth registration and why does it matter? Leah Selim/Unicef, 2019

  4. Completeness of birth registration (Bangladesh), World Bank

Veröffentlicht: 05.06.2023

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