An employee of Giesecke + Devrient is checking a banknote
#Banknote Solutions

Sicherheit durch Herz und Haptik

Trends
4 Min.

Der Mensch will nicht nur sehen, er will auch begreifen, soll heißen: sehen, fühlen, riechen. Das gilt, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung, auch für unser Bargeld. Wie sich die Wahrnehmung von Cash in den vergangenen zwei Jahren der Krisen und Unsicherheiten verändert hat, beantwortet Prof. Dr. Julia Pitters, Leiterin des Studiengangs Wirtschaftspsychologie an der IU Internationalen Hochschule.

Frau Professor Pitters, in Ihren Vorträgen und Interviews stellen Sie in der jüngeren Vergangenheit ein gestiegenes Interesse am Bargeld fest. Stehen wir vor einer „Renaissance of Cash“?

Von einer Renaissance kann nicht die Rede sein, Bargeld war, ist und bleibt stark. Gegenwärtig spielt aber das große, fast alles bestimmende Überthema „Sicherheit“ eine entscheidende Rolle, aktuell vor allem die Datensicherheit, das durch die Covid-Krise noch verschärft wurde. Wir leben in einer Zeit, in der wir ungleich mehr Daten preisgeben können, müssen oder sollen als je zuvor. Das verursacht bei manchen eine gewisse Unruhe, verstärkt aber zugleich die Einzigartigkeit von Bargeld: Hier gebe ich nicht schon wieder Daten preis, deren Wege ich nicht kenne oder kontrollieren kann.

Das gestiegene Interesse ist somit auch eine Reaktion auf das immer gläserner werdende Individuum?

Ja, und daher suchen viele nach einer Art „Rückzugsort“ – zumindest, was das Thema „Bezahlen“ angeht. Diesen Ort finden sie am ehesten noch im Bargeld.

Heißt das auch: Krisen machen konservativ?

Krisen führen dazu, dass wir auf das Bewährte zurückgreifen. Das ist eine ebenso unbewusste wie verständliche Reaktion und Hinwendung zum Sicheren. Wenn ich unsicher bin, weil sich alles um mich herum verändert, dann setze ich auf das, was ich kenne. Menschen in Krisen verstärken unbewusst das, was sie sind und kennen, und verteidigen damit ihr eigenes Wertesystem.

Dr. Julia Pitters, IU International University of Applied Sciences

Bei aller Unsicherheit kommt noch hinzu, dass unterschiedliche Generationen in ihrem Verhalten aufeinandertreffen: Die, die „digitalisiert“ aufgewachsen sind, treffen auf „die Analogen“.

Richtig, und damit verbinden sich unterschiedliche Sicherheitsbegriffe: Die Älteren, die zu dem zurückkehren, was sie kennen, werden jetzt noch mehr auf Bargeld setzen. Die Jüngeren hingegen finden ihre Sicherheit vielleicht in neueren digitalen Wegen, wie zum Beispiel in digitalem Zentralbankgeld – das allerdings auch „altersunabhängig“ seine Vorteile ausspielen kann.

Wenn wir aber zunächst einmal nur beim Bargeld bleiben: Wie lässt es sich in diesem Spannungsfeld so gestalten, dass es auch für jüngere, „digitale“ Generationen attraktiv bleibt?

Indem wir verdeutlichen, dass wir uns in einer sich immer schneller digitalisierenden Welt viel an sinnlichen Erfahrungswerten und -horizonten nehmen. Wir laufen Gefahr, den Bezug zum Gegenstand zu verlieren, das Digitale reduziert unsere Sinne fast nur noch auf das Sehen und Hören. Die Haptik, die es uns ermöglicht, Dinge zu fühlen, zu riechen, zu schmecken, verkümmert. Für viele ist Bargeld aber so zentral in ihrem Alltag und in ihren Erfahrungen, dass sie eben nicht nur steril klicken möchten. Das ist der Hebel, hier ist der Zugang ...

... um den „Generationen-Gap“ in Sachen Bargeld zu überbrücken?

Zumindest um herauszufinden, wie wichtig das Thema für die jeweiligen Nutzer ist. So lässt sich dann zum Beispiel der jüngeren Zielgruppe klarmachen, dass sie durch eine immer radikalere Reduzierung auf rein digitale Methoden ihre Kapazitäten gar nicht voll ausschöpft.

Während also die eine Hälfte „analog“ sozialisiert ist und im Haptischen einen sicheren Hafen sieht, wächst die andere Hälfte „digital“ und damit auch mit einem anderen Sicherheitsbegriff auf. Lässt sich „Sicherheit durch Haptik“ auf beide Gruppen ausdehnen?

Eine 20-Jährige ist natürlich offener für Alternativen, weil sie einfach weniger Scheu hat und nicht erst eine Hemm- und Technikschwelle überwinden muss. Sie ist aber gerade in Deutschland noch recht offen gegenüber Bargeld, sie kennt es, hat es erlebt, ist damit umgegangen und weiß, dass es funktioniert. Das ist auch wirtschaftspsychologisch interessant: Wer Bargeld sieht oder besitzt, bei dem verändert sich etwas im Gehirn und im Denken. Das sind unbewusste Prozesse, die auch bei Jugendlichen eine Rolle spielen.

Eine junge Frau bezahlt mit einem Euroschein

Sie sagen dazu: Bargeld aktiviert unser Belohnungssystem …

… und weckt einen „Geldreiz“ in uns, der wiederum eine Art „Zielerreichungsreflex“ auslöst. Wir möchten es unbedingt haben, es besitzen, es macht uns ehrgeiziger. Alternativen zu Bargeld lösen so etwas noch nicht aus, diese Trigger, diese Stimuli funktionieren am besten mit diesem haptischen und echten Geld.

Und natürlich auch mit dem entsprechenden Design: Die Wahrnehmung von Bargeld findet zum Beispiel über dargestellte Personen ganz anders statt als über stilisierte Brücken und Bögen, die derzeit die Euroscheine prägen.

Dennoch hat die EZB mit den aktuellen Euro-Zahlungsmitteln das erreicht, was jedes Land, jede Region, jede Regierung anstrebt: Identifikation. Die Länder der Eurozone haben sich weit stärker mit der EU identifiziert als die, die nicht der Währungsunion beigetreten sind.

Womit sich auch die Frage stellt, ob in einer stetig unsicherer werdenden Welt ein stärkeres Identifikationsmittel, ein besseres, neues Kommunikationsmittel, nötiger ist denn je?

Da wird es grundsätzlich wieder wichtig, Symbole mit Wiedererkennungs- und Identifikationswert zu integrieren. Menschen identifizieren sich immer dann, wenn sie eine Gruppe mit all jenen bilden können, die ihnen ähnlich sind. Dadurch grenzen wir uns gegenüber anderen ab. Auch die Eurozone könnte sich gegenüber all jenen abgrenzen, die nicht dazugehören. Indem sie Werte definiert und Symbole findet, auf die sie und ihre Bewohner stolz sind, die die europäische Idee ausmachen.

Heißt das auch ein „Zurück zur Haptik“?

Das heißt vor allem, konsequent auf das zu setzen, was Bargeld per se ausmacht: die Haptik, das Design, die Identifikation, das Einzigartige in der Kombination. Das ist es, was die Banknote zu etwas Kostbarem macht. Sie in Optik und Haptik zu virtualisieren, macht für mich wenig Sinn. Viel eher würde es Sinn machen, mit einer Art „Sammler-Effekt“ zu arbeiten. Menschen sind Jäger und Sammler, sie haben das Bedürfnis, etwas Besonderes besitzen zu wollen.

Ein Reflex, der sich auch über das Bargeld ansprechen ließe?

Ja, indem wir jeden einzelnen Schein besonders machen, ihn zu einem „alltagstauglichen Sammlerobjekt“ gestalten. Ein haptisches Erlebnis, das das Herz anspricht! Bargeld ist schließlich ein Geschenk des Staates an seine Bürger. Ein Geschenk, das auf einer bestimmten Idee fußt, das mit Kosten und Mühen verbunden ist. Dieser Wert des Geldes sollte wieder stärker in den Vordergrund rücken.

Weil aus der Verbindung von Herz mit Haptik mehr entsteht als der Wert auf dem Schein?

Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Jeder Schein sollte über die wirklichen Vorteile des Bargelds informieren, sollte aufklären und sensibilisieren. Dazu müssen wir noch klarer herausstellen, was seine Pluspunkte in Sachen Datensicherheit und Anonymität sind. Vor allem – aber nicht nur – gegenüber der jüngeren Zielgruppe. Wir sollten Bargeld neben seiner Funktion als Zahlungsmittel auch als „Trägermaterial“ für den Datenschutz und mehr verstehen und nutzen.

Veröffentlicht: 16.09.2022

Diesen Artikel teilen

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Verpassen Sie nicht die neusten Artikel von G+D SPOTLIGHT: Wenn Sie unseren Newsletter abonnieren, bleiben Sie immer auf dem Laufenden über aktuelle Trends, Ideen und technische Innovationen – jeden Monat direkt in Ihr Postfach.

Bitte geben Sie Ihre Daten an: