Ein Mann betrachtet die Skyline einer Stadt bei Nacht
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Grenzenlose F&E: in Indien leben, weltweit arbeiten

Interview

Wie sieht ein Arbeitstag als Leiterin der F&E-Abteilung bei G+D in Indien aus? Was braucht man, um in mehreren Teams und über Grenzen hinweg erfolgreich Innovationen zu entwickeln? „Flexibilität, Risikobereitschaft und die Lust an der Recherche“, sagt Lucie Fonseca. Sie ist Senior Director im Bereich Forschung und Entwicklung bei G+D in Pune und gibt einen Einblick in ihren Arbeitsalltag.

Sie leiten von Indien aus eine globale Forschungs- und Entwicklungsabteilung für G+D. Was sind Ihre Aufgaben?

Ich habe eigentlich zwei Funktionen: Ich bin sowohl für die globale Forschung und Entwicklung als auch für die lokale F&E in Indien zuständig. Die drei vertikalen Funktionsbereiche im Zahlungsverkehr sind digitale Lösungen, Kartenprodukte und Kartenausgabedienste.

Ich bin für die weltweiten Dienstleistungen rund um die Ausgabe von Bezahlkarten verantwortlich und arbeite mit einem indischen Team vor Ort sowie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Spanien, Deutschland, Großbritannien und Kanada. Es ist ein wirklich weltumspannender Job. Ebenso wie bei meinen Kolleginnen und Kollegen, die sich um die anderen vertikalen Bereiche kümmern und von Deutschland aus mit Teams in aller Welt zusammenarbeiten.

Darüber hinaus leite ich auch noch das Forschungs- und Entwicklungszentrum für unsere Zahlungssparte hier in Indien. Ich bin daher sowohl lokal als auch global tätig.

Portrait Lucie Fonseca
Lucie Fonseca, Senior Director R&D Card Issuance Services bei G+D

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung beschäftigt sich mit vielen verschiedenen Themen. Etwa die Hälfte meiner Kolleginnen und Kollegen arbeitet an dem, was wir Produktionssoftware nennen. Das ist eine Anwendungssoftware, die in den Produktionsstätten eingesetzt wird, um die Fertigung von Bezahlkarten zu steuern und zu organisieren. Eine Karte ist ein komplexes Produkt mit vielen persönlichen Daten. Um sie herzustellen, braucht man eine umfangreiche Software.

Davon kriegen die Verbraucherinnen und Verbraucher natürlich nichts mit. Aber das Endergebnis, die Karte selbst, kennt jede und jeder. Die Kombination aus Material, Chip, der integrierten Visa- oder Mastercard-Bezahlapplikation und natürlich den persönlichen Daten macht die Karte zu einer persönlichen Karte. Erst wenn alles zusammenspielt, lässt sich damit bezahlen.

Der andere Aspekt, mit dem wir uns befassen, sind Dienstleistungen, beispielsweise die Sofortausgabe („Instant Issuance“). Das ist ein Apparat, der wie ein Geldautomat aussieht, aber eigentlich eine Art Kiosk ist. Man geht dorthin, weist sich aus, authentifiziert sich mit den von der Bank zur Verfügung gestellten Daten und kann sich sofort eine personalisierte Karte ausstellen lassen. Auf diese Weise können Banken in Regionen, in denen sie kaum vertreten sind, Karten an Endkunden und Endkundinnen ausgeben, ohne dass diese lange Wege zu einer Filiale auf sich nehmen müssen.

Zu unserem Bereich gehört auch das Dienstleistungsportfolio Convego® Connect. Dabei handelt es sich um verschiedene Schnittstellen oder APIs für Banken, die ihnen mehr Kontrolle über die Prozesse bei der Kartenherstellung geben. Eine Bank möchte beispielsweise wissen: 

Wann werden die Karten geliefert? Wo befindet sich die Lieferung gerade? Ist es möglich, eine Karte zu stornieren, weil die betreffende Karteninhaberin oder der Karteninhaber eine neue Adresse hat? Lässt sich während der Auftragsabwicklung in der Produktion eine Karte hinzufügen, weil plötzlich dringend eine Ersatzkarte benötigt wird?

Innovationen gehören zu den wichtigsten Aufgaben einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Wie fördern und honorieren Sie Innovationen ganz konkret?

In diesem Jahr haben wir in Indien ein neues Innovationskonzept eingeführt – den „Tag der Ideen“. Wir bitten eine Reihe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Forschung und Entwicklung, über mögliche Innovationen nachzudenken, die sich idealerweise mit unserem Geschäftsmodell befassen. 

Die Vorschläge beziehen sich auf die Produkte, an denen die Kolleginnen und Kollegen arbeiten, berücksichtigen aber auch neueste Entwicklungen und Anregungen aus anderen Produktbereichen sowie Themen, die gerade in den Medien präsent sind. Wir möchten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ihrem gewohnten Umfeld heraustreten. Um das zu erreichen, haben wir Teams mit Beschäftigten aus unterschiedlichen Produktsparten gebildet, sodass ein spontaner Austausch stattfinden kann.

Im Vorfeld zum „Tag der Ideen“ gab es Präsentationen von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Produktlinien und Marktsegmente. Auch unser Patentausschuss berichtete über aktuelle Marktentwicklungen, was die Branche und die Kundinnen und Kunden bewegt und wo gerade der Schuh drückt. Dabei ging es mehr um den Kundennutzen als um technische Belange, was den Blickwinkel der F&E-Abteilung noch einmal erweitert hat. 

Darüber hinaus geht es auch um betriebswirtschaftliche Aspekte. In Arbeitsgruppen werden die Vorschläge ausgearbeitet und so weit verbessert, dass sie beispielsweise unserem Patentausschuss zur Prüfung vorgelegt werden können.

Natürlich gibt es auch eine Jury, die die Ideen begutachtet. Sie besteht aus Führungskräften der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, darunter auch ich, sowie Kolleginnen und Kollegen aus den Bereichen Produkt und Vertrieb. Gemeinsam beurteilen wir die Vorschläge nach ihrem Innovationswert, ihrer technologischen Machbarkeit und ihrem Marktpotenzial. Und vergeben daraufhin einen Preis!

Wer bittet Sie, ein spezifisches Problem zu lösen oder an einem bestimmten Projekt zu arbeiten?

Mein Team erhält seine Anweisungen in der Regel vom Produktteam. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung eines Services, mit dem Kundinnen und Kunden ihre PIN – bei Bedarf auch verschlüsselt – per SMS oder über ihre Bank-App erhalten statt in einem Brief, auf dem die PIN freigerubbelt werden muss. Das spart Papier, vereinfacht die Logistik und ist sicherer, weil kein Brief auf dem Postweg verloren gehen kann. 

Mein Team schreibt entsprechend den Anforderungen einen Code und testet ihn. Dabei arbeiten wir eng mit dem Operations-Team im Backoffice zusammen, um die Implementierung so zu gestalten, dass die Banken und ihre Kundinnen und Kunden diesen Service sofort und mühelos nutzen können.

Ihre Kolleginnen und Kollegen im globalen F&E-Team sind über die ganze Welt verteilt. Sie selbst arbeiten in Indien undleiten ein Team, das sich bis nach Kanada erstreckt. Wie strukturieren Sie Ihren Tag?

Nun, die kanadischen Kolleginnen und Kollegen haben ihren Sitz in Toronto. Das ist, was die Zeitzone angeht, immerhin nicht so schlimm wie Vancouver (lacht). Meine Arbeitszeiten habe ich entsprechend angepasst. Im Winter beginne ich meinen Arbeitstag in Indien in der Regel erst mittags, im Sommer fange ich meist um 11 Uhr an.

Die Leute sind hier generell sehr flexibel. Viele in meinem indischen Team arbeiten wie ich mit kanadischen Kolleginnen und Kollegen zusammen und haben deshalb ihre Arbeitszeiten in den Abend verlegt. Das machen einige hier in Indien auch, wenn sie mit Australien zusammenarbeiten müssen. Sie arbeiten dann in den frühen Morgenstunden. Das ist etwas, das ich an diesem Land schätze. Man ist hier nicht wirklich auf feste Zeiten fixiert.

Was sind Ihre Stärken, um ein Team zu leiten, das aus so vielen verschiedenen Nationen und Disziplinen besteht?

Zu Beginn meiner Karriere habe ich in der Entwicklung gearbeitet und programmiert. Ich war in der Produktabteilung tätig, die der Entwicklung sehr ähnlich ist, sich aber mehr auf die Strategie, das Wert- und Leistungsversprechen gegenüber der Kundin oder dem Kunden und so weiter konzentriert. Ich war im Vertrieb und ich habe in der Auslieferung gearbeitet.

Das sind vier Bereiche, die sich manchmal überschneiden, aber dennoch ihre eigenen Besonderheiten haben. Im Umgang mit Kundenberaterinnen und Kundenberatern hilft mir, dass ich selbst im Vertrieb tätig war. Und umgekehrt: Ich weiß auch, wie schwierig es manchmal für die F&E-Abteilung ist, die Erwartungen des Unternehmens zu erfüllen, aufgrund von Herausforderungen wie Budget, Ressourcenverteilung und Ähnlichem. Ich kenne beide Seiten und kann verstehen, was in den Köpfen meiner Kolleginnen und Kollegen vorgeht.

“Meine Aufgabe ist es, mit Menschen zu reden und Brücken zu bauen. Probleme zu lösen, sobald sie auftreten, etwa aufgrund von kulturellen Missverständnissen. Oder auch Verbindungen zu schaffen und zu erkennen, dass die Antworten auf die Fragen meines kanadischen Teams vielleicht schon von den Jungs in Spanien gefunden wurden.““
Lucie Fonseca
Senior Director R&D Card Issuance Services, G+D

Wie schaffen Sie es, immer das Beste aus sich herauszuholen? Haben Sie Tipps für andere, die eine Führungsposition anstreben, wie sie ihre Zeit einteilen und was sie sich vornehmen sollten?

Im Moment verbringe ich die meiste Zeit damit, mit Menschen zu kommunizieren, zu koordinieren, sie zu coachen, Strategien zu entwickeln und natürlich Netzwerke aufzubauen. Aber ich entwickle beispielsweise keine Software. Dafür gibt es in meinem Team viele kompetente Spezialistinnen und Spezialisten, die das besser können als ich. Das überlasse ich ihnen. 

Dennoch muss ich mit allen meinen Teamkolleginnen und -kollegen im Ausland in Kontakt bleiben. Das geschieht mal häufiger, wie beispielsweise mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Produktabteilung, die ich regelmäßig und sehr häufig spreche, mal seltener. Mit den meisten von ihnen habe ich wöchentliche Meetings vereinbart. Kommunikation und Informationsaustausch sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Das gilt auch für das Team vor Ort. Regelmäßige Gespräche mit verschiedenen Abteilungen sind für mich selbstverständlich. 

Meine vornehmliche Aufgabe ist es, mit Menschen zu reden und Brücken zu bauen. Probleme zu lösen, sobald sie auftreten, sei es aufgrund von kulturellen Missverständnissen oder unterschiedlichen Auffassungen. Verbindungen zu schaffen und zu erkennen, dass die Antworten auf die Fragen des kanadischen Teams vielleicht schon von den Kolleginnen und Kollegen in Spanien gefunden wurden.

Erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang. Wie kommt eine französische Ingenieurin dazu, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines globalen Unternehmens wie G+D in Indien zu leiten?

Wie gesagt, ich bin Französin, aber ich habe die meiste Zeit meines Lebens außerhalb Frankreichs verbracht. Ich habe Frankreich vor etwa 20 Jahren verlassen, um im Ausland zu arbeiten, und bin nie zurückgekehrt.

Eine Frau schaut lächelnd auf ihr Smartphone

Nicht, dass ich geplant hätte, 20 Jahre im Ausland zu verbringen oder Leiterin der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei G+D zu werden. Es hat sich einfach so ergeben und ich war schon immer sehr flexibel. Ursprünglich bin ich Ingenieurin für Fernmeldewesen. Ich liebe Mathematik und Physik und war schon immer technikbegeistert, das hat sich bis heute nicht geändert. Ich ziehe gerne in andere Länder und probiere neue Jobs aus. Zuerst habe ich in Frankreich gearbeitet, dann in Russland, danach in Dubai und jetzt in Indien.

Ich war hauptsächlich in der Telekommunikation und im Zahlungsverkehr tätig. Es sieht vielleicht so aus, als wäre das alles geplant gewesen, aber das war es nicht. Ein interessantes Thema führte zum nächsten – von der Telekommunikation über den mobilen Zahlungsverkehr bis zum gesamten Zahlungssektor. Wie gesagt, ich hatte einige andere Jobs vor dem, was ich jetzt mache.

Das nennt man eine glückliche Fügung! Welche persönlichen Eigenschaften haben Sie Ihrer Meinung nach auf all die Orte vorbereitet, an denen Sie gearbeitet haben?

Ich denke, in erster Linie Offenheit und Risikobereitschaft – und dass es wichtig ist, sich vorher so gut wie möglich über das Land, den Job und das Unternehmen zu informieren. Dazu habe ich meine Kontakte genutzt. Ich war schon immer der Meinung, dass man ein gutes Netzwerk haben sollte. So erfährt man viel mehr über das, was passiert.

Sie lernen gerne neue Sprachen. Erzählen Sie uns mehr darüber?

Sprachen sind mein Hobby. Im Moment frische ich mein Deutsch auf und ein bisschen Hindi kann ich auch schon. Ich nehme mir gerne Zeit dafür, heute lerne ich beispielsweise 15 bis 20 Minuten Deutsch und um mein Hindi zu verbessern, höre ich mir Podcasts an.

... und Englisch! Dieses Gespräch haben wir auf Englisch geführt ...

Sprachen sind ein wichtiger Faktor für eine internationale Karriere. Ich bin nur nach Russland gezogen, um Russisch zu lernen. Dass ich damals in meinem Unternehmen die Möglichkeit hatte, einen interessanten Job zu übernehmen, war zwar erfreulich, aber meine Priorität war die russische Sprache.

Das ist einer der Reize, wenn man im Ausland lebt: die vielen verschiedenen Sprachen, Kulturen und die Möglichkeit, mit Menschen in ihrer Muttersprache zu sprechen. Es ist schön, ein bisschen Hindi zu können und sich mit den Leuten hier zu unterhalten.

Brücken bauen ... da sind wir wieder beim Thema.

Es gibt immer etwas zu überbrücken oder zu verbinden. Auch beruflich. Die meiste Zeit meiner Karriere habe ich in einem Land gearbeitet, aus dem ich nicht komme. Auch mein Team arbeitet grenzüberschreitend. 

Und so bin ich seit 20 Jahren in einer Position, in der ich einem amerikanischen oder europäischen Manager erklären muss, wie der Arbeitsalltag in Indien funktioniert. Was ist da anders? Wie arbeitet man in Russland, wie unterscheidet sich das vom Nahen Osten? Für all diese kulturellen Feinheiten muss man  Verständnis schaffen.

Sie sind eine in Indien lebende und arbeitende Ingenieurin, die als weibliche Führungskraft in einem Technologieunternehmen tätig ist – was traditionell als Männerdomäne gilt. Gibt es da Vorurteile? Müssen Ihrer Meinung nach junge Mädchen und Frauen extra ermutigt werden, um sich für eine Karriere in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu entscheiden?

Ich muss sagen, dass Indien auf einem sehr guten Weg ist. Ich glaube, der Anteil der Studentinnen in MINT-Fächern liegt in Indien bei etwa 30 Prozent, was wirklich erfreulich ist. Generell ist es aber immer noch so, dass die Stereotypen über Technik und Mathematik jungen Mädchen, die sich für MINT interessieren, sehr schaden. Ihnen wird immer noch suggeriert, dass Mathematik nichts für Mädchen sei.

Diese Botschaft wird zumindest von den öffentlichen und den Unterhaltungsmedien vermittelt, dabei wäre die Repräsentation so wichtig. So werden die Wissenschaftler in Filmen und Serien fast immer von Männern gespielt. Während der COVID-Pandemie wurden hauptsächlich männliche Ärzte, Spezialisten und Minister interviewt. Dabei gibt es so viele Ärztinnen. Warum sind sie in den Medien so wenig präsent? Das Problem der Unterrepräsentation von Frauen besteht weltweit. Es gibt sie in Indien, in Frankreich, in Deutschland.

Und daran hat sich bisher nur wenig geändert. Frauen müssen selbst dafür sorgen, dass sie sichtbar werden. Wer als junge Frau keine Vorbilder hat, denkt vielleicht unbewusst, dass das nichts für sie ist.

Ein anderes Problem ist, dass viele Unternehmen weltweit Frauen in der Technologiebranche eher ablehnend gegenüberstehen. Eine Minderheit zu sein, ist nie lustig, egal welche Minderheit man ist.

Was würden Sie als Führungskraft tun, wenn Sie auf Vorurteile stoßen, seien sie bewusst oder unbewusst?

Ich bin sehr für Aufklärung. Ich helfe den Menschen, Brücken zu bauen und sie zu überqueren.

Veröffentlicht: 07.03.2024

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