Welche Kriterien entscheiden, ob ein Transformationsprojekt erfolgreich ist? Im Spotlight-Interview berichten Dr. Christian Legl, Group Vice President, Business Line Management High Speed Systems, und Dr. Richard Schachtner, Director Head of Program Management, über ihre Erfahrungen mit einem Transformationsprojekt, das sie 2019 im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) starteten. Welche Vorteile und Herausforderungen haben agile Arbeitsmethoden, die auf mehr Kundenzentrierung abzielen? Und warum ist es wichtig, nicht die Technologie, sondern den Menschen in den Mittelpunkt von Transformationsprozessen zu stellen?
Warum agiles Arbeiten auch in F&E Innovationen ermöglicht
Technologien und Märkte verändern sich mit rasanter Geschwindigkeit – und damit auch die Bedürfnisse der Kunden. Nur Unternehmen, die flexibel und den Entwicklungen einen Schritt voraus sind, können diese Bedürfnisse abdecken. Darum implementierte G+D im Jahr 2019 agile Arbeitsprozesse in der Entwicklung seiner Hochgeschwindigkeits-Banknotenbearbeitungssysteme.
Was war der Grund dafür, das Projekt zu starten?
Dr. Legl: Transformation und Veränderung gehören untrennbar zu G+D – deshalb ist permanente Innovation auch ein entscheidender Bestandteil unserer 170-jährigen Geschichte.
Darum ging es auch hier: Wir wollten agile Prozesse, die in unserer Softwareentwicklung seit geraumer Zeit üblich sind, auf andere F&E-Bereiche und auf die Produktentwicklung als Ganzes übertragen. Wir waren sicher, dass uns dies neben unmittelbaren positiven Effekten wie schnelleren Reaktionszeiten, besserer interdisziplinärer Kommunikation und mehr Produktivität auch einen langfristigen strategischen Vorteil verschaffen würde, mit einer noch besseren Kundenorientierung.
Dr. Schachtner: Die Bedürfnisse der Kunden entwickeln sich ständig weiter, befeuert durch Herausforderungen wie Arbeitskräftemangel, Automatisierung, Nachhaltigkeit, finanzielle Zwänge und Sicherheitsaspekte. Für uns ist entscheidend, dass wir mit unseren Entwicklungsprozessen dennoch immer einen Schritt voraus sind – mindestens! So können wir aus einer Position der Stärke heraus handeln und schnell auf diese Anforderungen reagieren.
Was genau sind die Aufgaben einer F&E-Abteilung in einem so komplexen Umfeld wie Hochgeschwindigkeits-Bargeldbearbeitungssystemen?
Wir entwickeln hochkomplexe mechatronische Systeme, bei denen Echtzeit- und Datenverarbeitungssysteme eine große Rolle spielen. Darüber hinaus entwickeln wir eigene Sensoren, die mit modernsten Technologien die Sicherheitsmerkmale von Banknoten prüfen.
Wie sind Sie dieses ambitionierte Projekt angegangen?
Dr. Legl: Wir mussten erst einmal definieren, was wir durch eine Transformation erreichen wollten. Wenn man kein klares Ziel hat, kann die Einführung einer agilen Methodik nicht funktionieren. Generell ist es empfehlenswert, das Management in eine solche strategische Entscheidung von Anfang an mit einzubeziehen. Nachdem wir unsere Ziele definiert hatten, legten wir mit den Kolleginnen und Kollegen sowie den Akteurinnen und Akteuren aus den relevanten Bereichen die Richtlinien für unsere Arbeit fest. Daraus entwickelten wir eine klare Vision. Und erst dann konnten wir die agilen Arbeitsweisen in allen entsprechenden Abteilungen einführen. Dabei lag ein Schwerpunkt auf intensiver Kommunikation mit und Coaching für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Laufe dieses Prozesses diskutierten wir gemeinsam unsere Werte und Zielvorstellungen. Es war uns wichtig, aktiv zuzuhören und sinnvolle Änderungsvorschläge zu integrieren. Einer der Werte, der dabei immer wieder angesprochen wurde, war Offenheit – das ist für mich eng mit dem verbunden, was oft als Fehlerkultur bezeichnet wird.
Dr. Schachtner: Wir haben das Projekt mit externer Beratung durch Expertinnen und Experten umgesetzt. Sie haben uns nicht nur darin beraten, wie sich SAFe, ein Rahmenwerk für die Anwendung agiler Methoden, implementieren lässt, sondern auch dabei, wie wir den Wandel der Unternehmenskultur angehen. Zudem haben wir hierarchieübergreifende Workshops durchgeführt, die uns halfen, eine Vision davon zu entwickeln, wie wir uns die künftige Führung vorstellen. Dieser Blick von außen war sehr hilfreich.
Wie wichtig ist eine gesunde Fehlerkultur?
Dr. Legl: Fehler sind ein natürlicher Bestandteil von Innovationsprozessen. Man sollte gar nicht um jeden Preis versuchen, sie zu vermeiden. Sondern Fehler als Chance erkennen, aus ihnen zu lernen und so ein besseres Produkt zu erschaffen. Das hat uns Professor Jan Hagen von der ESMT Berlin aufgezeigt, den wir als Berater zum Thema hinzugezogen hatten. Indem wir eine gesunde Fehlerkultur fördern, ermutigen wir die Entwicklerinnen und Entwickler, auch mal etwas auszuprobieren und neue Ideen auszutesten – ohne den Druck, dass alles gleich beim ersten Mal funktionieren muss. Unser Ziel ist es, ein Umfeld zu erschaffen, in dem ein misslungener Versuch nicht als Fehlschlag angesehen wird, sondern als Voraussetzung für künftige Verbesserungen. Ein solches Umfeld ist unerlässlich für technologische Innovationen.
Welche Vorteile und Herausforderungen bringt die Einführung agiler Arbeitsweisen in F&E?
Dr. Legl: In der Softwareentwicklung zielt die agile Methodik darauf ab, mit jedem Sprint ein Produkt zu liefern, also etwa alle zwei bis vier Wochen. In der Mechatronik ist das natürlich nicht machbar, weil Teile angefertigt und montiert werden müssen. Dennoch gelten auch hier die allgemeinen Grundsätze der Agilität: Jede Aufgabe kann in kleine Schritte unterteilt werden und jeder Schritt wird anhand spezifischer Akzeptanzkriterien bewertet.
Dieser Punkt ist sehr wichtig. Denn oft wird Agilität mit Chaos gleichgesetzt, tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Ein agiler Ansatz verbessert Transparenz, Flexibilität und Struktur. Agilität ist sogar Struktur in Reinform – vorausgesetzt, sie wird richtig angewendet. Dafür müssen zunächst der iterative Prozess und die Ziele definiert werden. Ab diesem Punkt verläuft der Prozess immer wieder gleich: Man gibt Arbeitsschritte für die Entwicklung neuer Funktionalitäten vor – also dafür, welche Anforderungen die Software bewältigen soll. Dann definiert man Akzeptanzkriterien, entwickelt die Funktionalitäten und bewertet anschließend, ob die vorgegebenen Ziele erreicht worden sind. Ist dies nicht der Fall, fragt man sich: Wie können wir das ändern?
Produktentwicklungen können sich über Zeiträume von bis zu drei Jahren hinziehen. Das führt manchmal zur Prokrastination oder, wie wir scherzhaft sagen, zum „Faule-Student-Syndrom“. Wenn einem drei Jahre zur Verfügung stehen, hat man das Gefühl, dass man sich noch viel Zeit lassen kann. Die Unterteilung des Projekts in kleinere Iterationen hilft dabei, sich zu fokussieren und ein effizientes Arbeitstempo zu erreichen. Dieser Ansatz kommt den Teammitgliedern zugute, denn sie können nach jeder Iteration sehen, welche Fortschritte sie erzielt haben.
Ich möchte betonen, dass es dabei nicht darum geht, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ziele erreichen. Es geht darum, zu verstehen, warum die Ziele im Projekt nicht erreicht wurden. Diese Erkenntnis nutzen wir, um unsere Planung zu verbessern – so lange, bis wir den richtigen Rhythmus gefunden haben.
Dr. Schachtner: Agile Teams müssen in der Lage sein, ihr Vorgehen alle paar Wochen neu zu justieren. Dennoch braucht man einen Plan. Er muss nicht übermäßig detailliert sein, aber er muss die Richtung des Projekts vorgeben. Wenn wir beispielsweise in neun Monaten eine Testreihe starten wollen, sollten wir heute mit den Vorbereitungen dazu beginnen. Sonst bewegen wir uns zwar möglicherweise schnell voran, aber laufen nicht unbedingt in die richtige Richtung.
Wie kamen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Umstellung zurecht?
Dr. Legl: Die Arbeitskultur zu verändern, braucht Zeit. Einige gehen voran, andere ziehen nach. Und manche finden auch, dass das alte Vorgehen besser war. Und das ist eine vollkommen berechtigte Meinung. Oder, wie es Karl Valentin formulierte: „Früher war sogar die Zukunft besser.“
Aber wir haben versucht, alle Teammitglieder in Projekte einzubinden, mit deren Methodik sie jeweils am besten zurechtkommen. Wir möchten den Menschen in den Mittelpunkt der Transformation stellen – und nicht umgekehrt. Der Transformationsprozess verlief nicht immer reibungslos, doch das ist normal. Für uns ist dieser neue Ansatz jedoch unser Weg in die Zukunft.
In dem Zusammenhang möchte ich gern etwas hervorheben, was mich sehr gefreut hat. Nämlich, dass einige unserer erfahrensten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den engagiertesten Befürworterinnen und Befürwortern des Wandels gehörten. Darunter waren sogar einige, die kurz vor der Pensionierung standen.
Dr. Schachtner: Ich stimme voll und ganz zu. Wie gut sich jemand auf neue Arbeitsweisen einstellt, hat nicht zwangsläufig etwas mit dem Alter zu tun. Wichtig ist: Diejenigen, die sich nicht vollständig auf die Veränderungen einlassen, sind nicht weniger wertvoll oder werden nicht weniger geschätzt.
Gab es ganz besondere Herausforderungen bei der Umsetzung?
Dr. Schachtner: Eine der Herausforderungen bestand darin, KPIs zu definieren, um Aspekte wie Effizienz und Fortschritt in einem F&E-Umfeld verlässlich messen zu können. Das ist ein sehr komplexes Thema, über das wir lange diskutiert haben. Wir wollen KPIs als ein Mittel nutzen, um uns verbessern zu können und herauszufinden, in welche Richtung wir weiter gehen wollen – nicht als Instrument, mit dem man nur den aktuellen Stand kontrolliert. Darum haben wir das Team beim Definitionsprozess mit einbezogen.
Dr. Legl: Eine weitere große Herausforderung, mit der wir konfrontiert wurden, als wir gerade mit der Implementierung starten wollten, war der Ausbruch der Pandemie. Während unserer allerersten Schulung hatten wir einen COVID-19-Fall, der uns zwang, gleich am ersten Tag komplett auf digitales Arbeiten umzustellen. Unser gesamter Anforderungsmanagement-Prozess wurde digitalisiert. Das hat, im Nachhinein betrachtet, unsere Reise zu einer besseren Kundenorientierung sogar noch beschleunigt.
Können Sie ein Beispiel für diese verbesserte Kundenorientierung geben?
Dr. Legl: Die Entwicklerinnen und Entwickler können anhand der digitalen Hierarchie jetzt die gewünschten Funktionalitäten jedes Kunden, für den sie arbeiten, nachverfolgen. Wir haben unser Anforderungsmanagement so strukturiert, dass Anwendungsfälle abstrakt zusammengefasst und dann auf einzelne Features und User Stories heruntergebrochen werden. Auf diese Weise können Entwicklerinnen und Entwickler an jeder Stelle sehen, wie der Kunde von ihrer Arbeit profitiert. Das zeigt, wie agiles Arbeiten in Kombination mit Digitalisierung zu Struktur und Effizienz führt.
Erkennen auch die Kunden diese direkten Vorteile?
Dr. Legl: Unsere regelmäßigen Sprint-Reviews waren sehr aufschlussreich. Bei diesen Treffen stellen wir unsere Fortschritte und die Funktionalitäten unserer Entwicklungen vor. Das gewährt auch unseren „internen Kunden“ Einblicke in unsere Prozesse, beispielsweise unseren Vertriebsteams. Sie können so besser verstehen, wie komplex die Funktionalitäten sind, und können unseren Einsatz besser einschätzen. Künftig wollen wir unsere Kunden mehr und mehr in unsere Sprint-Reviews einbeziehen.
Diese Transparenz hat uns definitiv geholfen. Sogar unsere risikoscheueren Kunden verstehen, worin die Stärke dieser Prozesse liegt. Wir beziehen unsere Kunden auch frühzeitig in unsere Projekte mit ein, stellen unsere Fortschritte vor und bitten sie um Feedback: Ist es das, was Sie sich vorgestellt haben? Was halten Sie davon? Was sollten wir ändern?
Wir haben gerade erst begonnen, diese Feedbackrunden auszubauen, aber das Potenzial ist aufgrund der guten Beziehungen zu unseren Kunden enorm. Darum: Ja, unsere Kunden erkennen die Vorteile. Und wir wollen die Interaktion mit ihnen immer weiter ausbauen.
Dr. Schachtner: Hinzu kommt, dass die Vertriebsteams sehen, wie viele Leute an einem Projekt arbeiten. Ein Kollege sagte neulich: „Ich wusste gar nicht, dass so viele Menschen an meinem Projekt arbeiten.“ Jetzt können sie sowohl den Aufwand als auch die Inhalte unserer Arbeit viel besser einschätzen, und das schafft einen Mehrwert für ihre Interaktionen mit den externen Kunden.
Wohin geht die Reise?
Dr. Legl: In meiner Vision sieht die Zukunft so aus: Unser Entwicklungsprozess funktioniert wie eine Produktionslinie in einer Fabrik oder, wie man in Bayern so schön sagt: wie das Brezelbacken. In diesem Szenario erteilt ein Kunde einen Auftrag beziehungsweise eine Anforderung, die dann unsere Entwicklungsfabrik durchläuft und geformt und gebacken wird wie eine Brezel in einer Backfabrik.
Mir ist klar, dass die Entwicklungsarbeit nicht 1 : 1 mit Fabrikarbeit vergleichbar ist, aber die Prinzipien von Effizienz und Kundenzufriedenheit gelten hier wie dort. Darum sind wir mit dieser Vision in der Lage, jede neue Anforderung schnell zu erfüllen. Mit einem Prozess, der für das Team genauso zufriedenstellend ist wie das Ergebnis für unsere Kunden.
Dr. Schachtner: Echte Agilität haben wir erreicht, wenn wir uns wie ein Vogelschwarm bewegen: Alle bewegen sich in eine Richtung, ohne großen erkennbaren Koordinationsbedarf.
Key Takeaways
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Die Implementierung agiler Prozesse in F&E war essenziell für eine ganze Reihe von Fortschritten, beispielsweise bessere Kundenorientierung.
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Agile Methoden unterteilen komplexe Projekte in kleine Einzelschritte. Das hilft den Beteiligten, sich zu fokussieren und ein effizientes Arbeitstempo zu erreichen. Davon profitieren G+D und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie die Kunden.
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Eine lebendige Fehlerkultur ist essenziell, um Innovationen und Fortschritt voranzubringen.
Veröffentlicht: 21.11.2023
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